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Seeleute auf der Nuevo el Kiko holen das Netz vor der Fahrt nach Alicante ein. D. MALDONADO
Tradition

Ringwaden-Fischerei – ein in der Provinz Málaga vom Aussterben bedrohter Beruf

Ein Tag an Bord des Ringwadenfischers 'Nuevo el Kiko' gibt Einblick in das Leben der Besatzung. Heute geht es mit leeren Händen zurück in den Hafen, die Bedrohung der Branche aber hat andere Gründe

ANTONIO CONTRERAS

Málaga

Montag, 25. August 2025

In den Weiten und Tiefen des Meeres liegen Hunderte von Geschichten verborgen. Die, die uns heute beschäftigt, erzählt von einem Dutzend Männern und einem Schiff namens Nuevo el Kiko. Wenn andere noch tief in den Federn liegen, laufen sie Tag für Tag aus dem Hafen von Caleta de Vélez aus, hoffen auf fette Fänge in den Ringwaden ihres Trawlers... und inzwischen immer öfter darauf, noch neue Kollegen zu bekommen.

Auch heute ging es im Morgengrauen hinaus aufs Meer. In den zurückliegenden Tagen waren vor der Küste von Torremolinos zahlreiche Fischschwärme angekommen, vor allem Sardellen. «Da draußen sind mehr Fische als wir fangen können», freut sich Israel Martín, Inhaber und Kapitän der Nuevo el Kiko, während er seinen Trawler in Richtung der vermuteten Schwärme steuert. Doch auch nach vier Stunden Fahrt hat der Radar nicht einmal angeschlagen und was gestern noch ein üppiger Schatz war, ist heute absolute Fischebbe. «An den vorherigen Tagen sind wir voll beladen in den Hafen zurückgekehrt, aber heute sind hier nicht mal mehr Steine übrig», bedauert Martín, greift zum Mikrofon und setzt sich per Funk mit anderen Schiffen in der Gegend in Verbindung, um nachzufragen, ob sie fündig geworden sind. «Wir sprechen mit einigen der anderen Fischer, nicht mit allen. Wir wissen, dass es ein paar gibt, die uns nicht sagen würden, wenn sie auf Schwärme gestoßen sind. Als ob sie alles selbst fischen könnten...», sagt Martín. Nach einer Weile meldet einer der Kollegen, er fahre nun in Richtung El Morche, um zu sehen, ob dort noch was zu holen sei. Kapitän Martín muss sich eine Runde schlafen legen, doch der zweite an Bord, Antonio Téllez, übernimmt und fährt ebenfalls in das rund fünf Meilen östlich von La Caleta gelegene El Morche. Während der 21-Jährige das Steuer fest im Griff hat, ist auch für die restliche Besatzung Zeit, ein wenig in den Kajüten auszuruhen.

Auch der Umweg über El Morche war vergebens. Die Nuevo el Kiko, genau wie die anderen elf Schiffe aus dem Hafen von Caleta de Vélez, kehrt zurück, ohne auch nur ein einziges Kilo Fisch gefangen zu haben. Kapitän Martín versucht, sich und seiner Crew Mut zuzusprechen. «Das gehört zu unserem Geschäft dazu. Wer aufs Meer hinausfährt, fährt auf gut Glück, es gibt keine Erfolgsformel. Manchmal laufen wir eben aus und fangen rein gar nichts, so wie heute», sagt er. Doch Müdigkeit und die leeren Fischkisten sorgen für lange Gesichter. Aus guten Grund, denn heute bekommt die Besatzung kein Geld. Der Erlös vom Verkauf der Fischfänge wird normalerweise zu festgelegten Anteilen unter der Besatzung aufgeteilt.

Manuel Ramón Fernández, einer der Seeleute an Bord der Nuevo el Kiko, erzählt: «In den letzten zwei Wochen haben wir 1.200 Euro kassiert. Doch es gibt eben auch laue Zeiten, in denen wir wesentlich weniger herausbekommen.» Die Unsicherheit, was der nächste Tag bringe, sei einer der Gründe, warum es immer weniger Nachwuchs gebe. «Die meisten Leute wollen ein festes Gehalt. Wollen, dass das Wochenende kommt und man weiß, dass man ausgehen kann. Bei uns ist das anders. Wenn das Meer nicht mitspielt, dann bleibst du am Wochenende zu Hause», sagt der Fischer, fügt jedoch hinzu, so schlecht es manchmal auch laufe, auf «tausend Euro» käme er immer. Fernández arbeitet seit vier Monaten auf der Nuevo el Kiko, ist seit zwölf Jahren Seemann. Als er seinen alten Arbeitgeber verließ, wurde ihm schon am nächsten Tag eine Anstellung auf dem Schiff von Martín angeboten. Auch das ein Zeichen, wie händeringend in der Fischerei nach Personal gesucht wird.

Einer der Fischer steht auf einem Ringwadennetz. D. Maldinado

Die heutige Flotte an der Küste Málagas ist nur noch ein kleiner Schatten ihrer einstigen Größe. Im Hafen von Caleta de Vélez, dem größen Fischereihafen der Provinz, liegen gerade einmal noch elf Schiffe, in Marbella fünf und in Fuengirola eines, das nicht einmal mehr ausläuft. Kapitän Martín versichert: «Es gibt mehr Fische denn je und dennoch stehen wir vor dem Aus, weil uns das Personal fehlt.» Ein Problem, das auch andere Fischereiregionen kennen. Castellón etwa zählte noch vor 20 Jahren 50 Schiffe, heute sind acht übrig geblieben.

Carmen Navas, Präsidentin der Fischereigenossenschaft von Caleta de Vélez, sagt: «Generationenwechsel findet in unserer Branche kaum noch statt, auf den Schiffen sind immer mehr Ausländer angestellt.» Gäbe es die ausländischen Arbeitskräfte nicht, hätte auch die Nuevo el Kiko nicht genügend Personal, um auszulaufen.

Mit 33 Jahren ist Israel Martín einer der jüngsten Kapitäne auf einem Fischerboot in Málaga. Salzwasser scheint sich bei ihm aus Tradition unter das Blut zu mischen. Seine Familie fuhr bereits zur See und schon als Kind bewunderte er die Seemänner. Vor einem Jahrzehnt entschloss er sich, gemeinsam mit seinem Bruder ein eigenes Schiff zu kaufen. Es gehörte seinem Onkel und blieb also in der Familie. 2021 dann kaufte Martín Nuevo el Kiko. Bei seiner Frau Ana, mit der er eine dreijährige Tochter hat, stieß das auf nur wenig Gegenliebe. Sie dränge ihn, sich eine andere Arbeit zu suchen, erzählt Martín. Doch nun sei die Investition von rund einer Million Euro gemacht, so der Kapitän, auch das binde ihn jetzt ans Mittelmeer. Es ist nicht nur ein Job mit vielen Ungewissheiten, es ist auch Stress und viel, viel Schlafmangel. Seemann Téllez plaudert schmunzelnd aus dem Kajütenleben: «Ich erinnere mich noch an eine Fahrt nach Altea, da hat er 14 Stunden am Stück geschlafen. Wir haben ihn einfach nicht wachbekommen.» Für diese Männer ist der Fischfang zweifellos mehr als eine Arbeit, er ist zu ihrer Lebensart geworden. Martín sagt denn auch: «Wenn man mich in ein Büro stecken würde, das wäre mein Ende.»

Über seinen Steuermann Téllez sagt er bewundernd: «Antonio ist der einzige hier an Bord, der die ganze Nacht nicht schlafen muss. Ich habe keine Ahnung, wie er das macht.» Überhaupt ist der 21-Jährige ein Phänomen. Ohne familiäre Bindung zum Meer, ist er schon mit zwölf Jahren erstmals aufs Meer hinausgefahren. Die Begeisterung «kam durch Freunde, die zur See gefahren sind und mich angesteckt haben», sagt der junge Seemann und versichert: «Ich sehe mich für den Rest meines Lebens auf einem Schiff.» Die notwendigen Genehmigungen, um auf der Nuevo el Kiko anzuheuern, hatte sich Téllez in weniger als einem Monat beschafft. Eingelernt wurde er von Kapitän Martín persönlich. Heute sind die beiden die einzigen an Bord, die notfalls sogar den Motor reparieren könnten. Und das haben sie auch schon unter Beweis stellen müssen. «Einmal ist der Motor heiß gelaufen und wir haben eine Nacht und einen Tag im Maschinenraum damit verbracht, ihn auszubauen, damit er in die Werkstatt gebracht werden konnte», erinnern sich die beiden.

Ein weiterer wichtiger Mann an Bord der Nuevo el Kiko ist Manolo Heredia, der Schiffskoch. Gerade bringt er dem Kapitän ein Stück Kleinen Thun zum Probieren, das er selbst getrocknet hat. Heredia fährt schon sein ganzes Leben lang zur See, hat zwischendurch aber auch Pausen einlegen müssen. «Ich habe zwei Töchter und als sie klein waren, da reichte bei uns das Geld manchmal nicht mal für die Milch», erzählt er. Als sich ihm die Chance auf einen Job in der Eisenindustrie bot, griff er zu. 16 Jahre, die Spuren in seiner Gesundheit hinterlassen haben: Arthrose, chronische Rückenschmerzen... Für ihn ein Grund, aufs Meer zurückzukehren.

Statt schwerem Eisengerät bewegt Heredia heute die Kochtöpfe auf der Nuevo el Kiko. Nach einer langen Nacht auf See hat er stets das passende Frühstück bereit, von Reisgerichten über Knoblauchhühnchen bis hin zu Fischsuppe. Auch wenn er für seine Arbeit brennt, sieht Heredia doch auch die Nachteile: «Das Problem sind die vielen Stunden, die man auf dem Schiff verbringt. Es sind einfach sehr, sehr viele.»

Mamasou Sene. D. Maldonado

Auch Mamadou Sene, ein Senegalese, der vor sieben Jahren die Flucht über die Meeresenge wagte, wird die Zeit des Wartens in der Kajüte oftmals lang. Bevor der 28-Jährige den Kapitän der Nuevo el Kiko kennenlernte, schlug er sich mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs durch. Martín half ihm bei der Beschaffung der Arbeitserlaubnis. «Jetzt bin ich glücklich», sagt Sene, und: «Es ist ein harter Job, aber mir macht er Spaß.» Der Senegalese lebt in Málagas Stadtteil Miraflores de los Ángeles, muss jeden Abend zu Fuß ins Stadtzentrum laufen, den Bus bis ins über eine Stunde entfernte Caleta de Vélez nehmen und dort noch einmal zu Fuß zum Hafen laufen. Am nächsten Morgen das gleiche in entgegengesetzter Richtung. Er hätte gern ein Auto, erzählt er. Doch daran sei finanziell nicht zu denken. Vielmehr spare er so viel Geld wie eben möglich, um sich in seiner Heimat ein Haus kaufen und dort wenigstens den Urlaub in der Nähe seiner Familie verbringen zu können.

Nachdem er Sene unter Vertrag genommen hatte, zögerte Kapitän Martín keine Sekunde, auch dessen 27-jährigen Bruder, Abdourahmane Sene, und den Vetter, Abdoulaye Sarr (24), aus dem Senegal in sein Team zu holen. «Das ist keine Wohltätigkeit, dass das nicht verwechselt wird. Ich arbeitete hier mit Mamadou zusammen und ich habe seinen Bruder und seinen Vetter hierhergeholt, weil es die besten Leute sind, die ich haben könnte. Sie sind loyal und echte Arbeitstiere», sagt Martín.

Die drei aus Senegal sind nicht die einzigen Ausländer an Bord der Nuevo el Kiko. Das Gros der Seeleute stammt inzwischen aus dem Ausland, die Crew ist international. Auch wenn viele wieder abspringen, scheint die Zukunft der Fischerei von ausländischer Arbeitskraft abzuhängen, denn Einheimische sind kaum noch für den Job zu haben. Wer jedoch einmal Ja zur Fischerei gesagt hat, will das Meer und das Leben vom Fischfang oft nicht mehr missen. Für Israel Martín steht fest, dass jeder andere Job ihn kaputt machen würde, Manuel Ramón Fernández träumt davon, einen kleinen Meeresfrüchtekutter zu besitzen, Manolo Heredia zieht selbst in seiner Freizeit noch mit einer Angel los und Antonio Téllez hofft, sein ganzes Leben lang hinaus aufs Meer fahren zu können. «Es heißt, das Meer und sein Salz haben etwas, das einen in den Bann zieht. Und wer es einmal kennengelernt hat, könne nicht mehr ohne diese besondere Kälte und diesen Geruch leben», sagt Téllez.

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