Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung in Spanien dramatisch angestiegen
Die Zahl der in prekären Verhältnissen gefangenen spanischen Opfer, denen das System keine Lösungen bietet, hat sich um 46 Prozent erhöht
ALMUDENA SANTOS
Sonntag, 21. September 2025
Marcela war Jurastudentin und arbeitete in einer kleinen Anwaltskanzlei in Brasilien. Sie hatte zwar ein bescheidenes Leben mit einigen familiären Problemen, aber es ging voran. Doch der Schatten einer Wirtschaftskrise machte alle ihre Pläne zunichte und stürzte sie in eine ungewisse Zukunft. Während sie darum kämpfte, ihrem engsten Umfeld zu beweisen, dass sie es aus eigener Kraft schaffen konnte, erschien ein Jobangebot in Spanien wie ein Hoffnungsschimmer. Dieser allerdings erwies sich als trügerisch.
Vor ihrer Ankunft träumte Marcela von einem selbstbestimmten und erfolgreichen Leben. Was sie jedoch erwartete, war ein Käfig, geschaffen von Menschen, die mit Körpern und Schweigen handeln. Jahrelang war sie in einem Netzwerk des Menschenhandels gefangen, das ihre Stimme und ihren Willen brach. Sie hörte auf, an sich selbst zu glauben. Doch dann kam langsam wieder Licht in ihr Leben. Die Vereinigung zur Prävention, Wiedereingliederung und Betreuung prostituierter Frauen (APRAMP) wurde zu ihrer Brücke in die Freiheit. Dort fand sie nicht nur emotionale und psychologische Unterstützung, sondern auch rechtliche Beratung. Diese ermutigte sie, den schwierigsten Schritt zu tun: Anzeige zu erstatten. «Sie täuschen uns mit unseren Träumen.»
Aber Geschichten wie die von Marcela, die tatsächlich vor Gericht enden, sind nach wie vor die Ausnahme. «Die Anzeigen, die es gibt, sind nur die Spitze des Eisbergs», warnt Ezequiel Escobar, Geschäftsführer von Fiet, einer Organisation, die Frauen begleitet, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Doch es betrifft nicht nur Immigrantinnen: Laut Aufzeichnungen stieg auch die Zahl der spanischen Opfer dieser Netzwerke im Jahr 2024 um 46 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese erschreckenden Zahlen kratzen allerdings nur an der Oberfläche einer viel tiefer liegenden Realität. Angst, Scham, der Wunsch, die eigenen Angehörigen zu schützen, und der «mangelnde Schutz der Opfer» wiegen schwer.
Netzwerke für Menschenhandel operieren zunehmend über Plattformen wie Instagram, TikTok und OnlyFans, wo sie gezielt nach schutzlosen Personen suchen
Die neuesten offiziellen Daten des Innenministeriums zeigen, dass die staatlichen Sicherheitskräfte im vergangenen Jahr insgesamt 1.794 Opfer von Menschenhandel und sexueller oder wirtschaftlicher Ausbeutung in Spanien befreit haben. Dies entspricht einem Anstieg von 22 Prozent gegenüber dem Jahr 2023. Allein im Bereich des Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung befreiten die Beamten mehr als 250 Menschen aus dieser Hölle, darunter fünf Mädchen. Der Anstieg wurde erzielt, obwohl «die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau, die Opfer von Ausbeutung ist, Anzeige erstattet, sehr gering ist. Es herrscht Angst. Es herrscht Scham. Und vor allem mangelt es wirklich an Schutz», erklären die Experten. «Menschenhandel ist ein Privatdelikt und wird ohne vorherige Anzeige nicht untersucht.» Ein Teufelskreis.
Anlässlich des Internationalen Tages gegen Menschenhandel am 30. Juli verkündete Marcela aus tiefster Überzeugung: «Erstatte Anzeige – nur so erhältst Du ein neues Leben.» Aber ihre Stimme richtet sich auch an diejenigen, die die Macht haben, Dinge zu ändern: «Ohne echte Alternativen ist es nicht möglich, aus dieser Situation herauszukommen.»

Und der Menschenhandel geht mit der Zeit. Er tarnt sich nicht mehr nur mit Versprechungen an einer Bar oder Straßenecke. Vielmehr versteckt er sich hinter leuchtenden Bildschirmen, in gefälschten Profilen sozialer Netzwerke, in privaten Nachrichten mit verlockenden Angeboten. «Die Art der Anwerbung hat sich radikal verändert», sagt Escobar. Plattformen wie Instagram, TikTok und sogar OnlyFans sind nun die neuen Märkte, auf denen Täter ihre Opfer suchen: verletzliche Frauen ohne Alternativen oder Rückhalt. Sie werden überredet oder unter Druck gesetzt, sich auf einen Kreislauf einzulassen, aus dem nur wenige entkommen können. «Auf OnlyFans beispielsweise wird die Ausbeutung oft unter dem Deckmantel der Freiwilligkeit getarnt, obwohl es für viele Frauen in Wirklichkeit die einzige Möglichkeit ist, sich ihr tägliches Brot zu verdienen.» Diese Methode wird in den meisten Fällen angewendet, um spanische Opfer zu rekrutieren.
Einer der hartnäckigsten Mythen ist, dass Menschenhandel ein Problem von Ausländern sei. Die Realität ist jedoch viel unangenehmer: «In Spanien gibt es ein ernstes Problem mit einheimischen Männern, die Frauen ausbeuten», erklärt Escobar. Tatsächlich wurden laut Berichten des Innenministeriums im letzten Jahr fast 300 Personen wegen Straftaten im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung festgenommen. Davon waren 115 spanische Männer: 38,3 Prozent der Gesamtzahl.
«Menschenhandel ist ein transnationales, bereichsübergreifendes Geschäft», warnen die Verantwortlichen von Fiet. «Menschen auf allen Ebenen sind beteiligt: von denen, die Frauen anwerben, über diejenigen, die Wohnungen oder Clubs betreiben, bis hin zu unternehmerischen, wirtschaftlichen und sogar politischen Strukturen.» Es geht dabei nicht um Nationalitäten oder Flaggen. Es gibt internationale, transkontinentale Netzwerke, aber auch lokale Strukturen in Spaniens Dörfern und Städten. Es handelt sich um einen Wirtschaftszweig, der ohne hohe Nachfrage sowie ein System, das gegen die Opfer ermittelt, anstatt sie angemessen zu schützen und die Profiteure wirksam zu verfolgen, nicht aufrechterhalten werden könnte.
Prostitution abschaffen
Nach dem Skandal um die frauenfeindlichen Äußerungen des ehemaligen Ministers Ábalos und Koldo García hat das Ministerium für Gleichstellung unter der Leitung von Ana Redondo zugesagt, dass die Regierung ihren Gesetzesvorschlag zur Abschaffung der Prostitution mit Beginn des neuen politischen Jahres wieder aufnehmen wird. Ziel sei es, jegliche Form der Zuhälterei unter Strafe zu stellen, den Straftatbestand auf alle Handlungen auszuweiten, die Prostitution fördern oder begünstigen, die Überlassung von Räumlichkeiten wie Lokalen oder Wohnungen im Zusammenhang mit dieser Art von Tätigkeit unter Strafe zu stellen und Kunden zu bestrafen. So soll die Nachfrage nicht nur durch Sensibilisierungskampagnen, sondern auch durch Geldstrafen für die Inanspruchnahme von Sex gegen Bezahlung verringert werden.
Eine Maßnahme inmitten von Korruptions- und Prostitutionsaffären, die erneut die Frage in den Fokus gerückt haben, wie mit Prostitution umzugehen ist. Bei Fiet ist man jedoch überzeugt, dass ein Gesetz nichts nützen wird, wenn sich nicht auch das kollektive Bewusstsein wandelt. «Es wurden Rollen normalisiert und idealisiert, die Frauen zu Objekten machen, und das erzeugt Nachfrage», argumentiert man dort und spielt darauf an, welche Auswirkungen der Konsum von Pornografie auf junge Menschen hat.
«Wir haben schon oft gehört, wie Frauen erzählten, dass junge Männer auf ihren Handys Pornovideos haben, in denen Frauen zu reinen Objekten degradiert werden.» Sie nehmen ihr Handy und fordern genau das, «so wie jemand, der zum Friseur geht und ihm den Haarschnitt zeigt, den er in einer Zeitschrift gesehen hat». Und der Leiter von Fiet fügt hinzu: «Wenn man diese Aussagen hört, wird einem klar, dass Rollen, in denen Frauen lediglich als Sexobjekte dargestellt werden, nicht nur normalisiert, sondern sogar idealisiert wurden.»
Die Profile
Im Jahr 2024 wurden 419 Operationen gegen Menschenhandel und Ausbeutung durchgeführt. Dabei wurden 1.794 Opfer (darunter 32 Minderjährige) befreit und 966 Personen festgenommen. Darüber hinaus wurden 110 kriminelle Netzwerke zerschlagen. Bei den Opfern sexueller Ausbeutung handelt es sich mehrheitlich um Frauen im Alter zwischen 23 und 27 Jahren, die hauptsächlich aus Kolumbien, Venezuela, Paraguay und Spanien stammen. Opfer der Ausbeutung von Arbeitskraft sind zumeist Männer im Alter von 23 bis 27 Jahren, die aus Kolumbien, Indien, Pakistan, Marokko oder dem Senegal stammen.
61 Prozent der im vergangenen Jahr wegen dieser Delikte Festgenommenen waren Männer, die meisten davon Spanier, obwohl in Fällen sexueller Ausbeutung in Netzwerken auch eine bedeutende Anzahl von Frauen zu beobachten war. Die Zahl der wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung Festgenommenen belief sich auf 525, die meisten davon Spanier, ebenso wie die 425 Festgenommenen nach der Zerschlagung von Netzwerken zur Ausbeutung von Arbeitskräften.
Sowohl bei diesen Zahlen als auch bei den Einsätzen ist ein Anstieg gegenüber 2023 zu verzeichnen. In jenem Jahr wurden 1.466 Opfer befreit (24 Prozent mehr als 2022), die Profile waren ähnlich: Frauen zwischen 28 und 32 Jahren bei der sexuellen Ausbeutung und Männer zwischen 23 und 27 Jahren, die hauptsächlich aus Kolumbien, Venezuela, Paraguay, Marokko und Moldawien stammten, bei der Ausbeutung von Arbeitskräften. Die Festnahmen in diesem Bereich beliefen sich auf 575 Personen wegen Sexhandels und 334 wegen Zwangsarbeit, wobei auch hier spanische Täter überwogen.
Das Schicksal von Marcela ist ein erschütterndes Abbild einer Realität, die ganz offen stattfindet: Getarnt als Chance auf ein besseres Leben, versteckt zwischen Algorithmen in den sozialen Netzwerken und normalisiert durch eine Kultur, die Ausbeutung zu Spektakel und Konsum macht. Zwar zeigen die offiziellen Zahlen einen Anstieg der befreiten Opfer und der zerschlagenen Netzwerke, doch warnen Organisationen wie Apramp und Fiet, dass die meisten Fälle nicht angezeigt werden. Sie bleiben unsichtbar.
Comentar es una ventaja exclusiva para registrados
¿Ya eres registrado?
Inicia sesiónNecesitas ser suscriptor para poder votar.