Stierkampf: Abscheuliche Tierquälerei oder spanische Tradition von kultureller Bedeutung?
Aktivisten behaupten, der Widerstand gegen Stierkämpfe werde größer. Aber ausverkaufte Arenen legen eher das Gegenteil nahe
Tony Bryant
Málaga
Sonntag, 28. September 2025
Briten oder Deutsche stehen im Ruf, passionierte Tierfreunde zu sein, wobei es eine Reihe von Gründen gibt, die zu diesem Image beigetragen haben. Die Briten etwa gründeten einst mit RSPCA den weltweit ersten Tierschutzverein. Das Bemühen um das Wohlergehen von Tieren ist auch an der Costa del Sol mit einer Reihe Tierschutzinitiativen präsent, die von freiwilligen Helfern getragen werden.
Zwar gibt es heutzutage oftmals eine kritischere Haltung vieler Ausländer in Spanien gegenüber Aktivitäten mit Tieren wie etwa Esel-Taxis. Doch noch immer gibt es ein Spektakel, das, so hob es schon Ernest Hemingway treffend hervor, viel Leidenschaft entfacht – sowohl dafür als auch dagegen: Die Rede ist von Stierkampf, hierzulande als 'Corrida de toros' bekannt.
Dabei ist Stierkampf wohl ein Aspekt spanischen Lebens, den Ausländer kaum ganz verstehen können. Wahrscheinlich ist es für einen Nicht-Fan nur schwer zu verstehen, dass die Person, die den Stier am meisten respektiert, auch derjenige ist, der seinem Leben ein Ende setzen wird. Der Matador wird für seinen Mut und für seine Kaltblütigkeit im Moment des größten Drucks verehrt, aber auch für seinen Respekt gegenüber dem Gegner. Ein Gegenüber, das, so belegen verschiedene Studien, nicht nur ein großes, wildes, listiges Tier ist, sondern zudem auch enorm schnell lernt, was genau in der Arena vor sich geht. Stierkampf ist zweifellos ein Teil der spanischen Kultur, dem man mit großem Wissen begegnen sollte, denn die Meinung nicht informierter Protestierender hilft hier nicht weiter und wird von der Branche milde belächelt.
Protest-Gruppen
Landesweit haben sich Tierschutzvereinigungen und auch politische Gruppierungen wie PACMA ein Ende des Stierkampfs auf ihre Fahnen geschrieben. Sie alle argumentieren, Stierkampf spiegele in keiner Weise die Werte der Mehrheit der spanischen Bevölkerung wider. Eine dieser Gruppen agiert von Marbella aus, hat ausländische wie einheimische Mitbürger im Kampf gegen die Corridas de Toros zusammengeführt. Über den Sommer hinweg haben sie gegen Stierkampf in ihrer Stadt protestiert. Ein Sprecher der Gruppe hatte schon im Vorfeld versichert, dass trotz der Bemühungen, Stierkampf als Tradition oder Kultur darzustellen, «der Widerstand innerhalb Spaniens wächst. Viele Menschen sprechen sich gegen Stierkampf aus, bezeichnen es als institutionalisierte Tierquälerei». Die Stierkampfgegner beklagen «eine abscheuliche Folter unschuldiger Tiere, die in dieser Gesellschaft keinen Platz hat».
Doch nur einen Tag nach ihrem bislang letzten Protest Anfang August, war die Stierkampfarena von Marbella für ein neues Spektakel bis auf den letzten Platz ausverkauft. Schon Stunden zuvor waren die letzten Eintrittskarten vergriffen, was einige Medien als neu erwachtes Interesse interpretierten. Auch während der Feria in Málaga wurden eine Woche lang Stiere durch die Malagueta-Arena getrieben. Gleiches gilt für die Stierkämpfe während der August-Feria in Antequera, deren Höhepunkt der Stierkampf im Stil Goyas war, den Tausende von Menschen sich nicht entgehen lassen wollten.

Viele ausländische Besucher würden wohl nie auf die Idee kommen, einen Stierkampf zu besuchen. Andere werden gleich von ihm in Bann gezogen, wie etwa Lyn Volgarino, eine seit über 50 Jahren in Torremolinos lebende Britin. Sie sagt: «Ich gehe heute nicht mehr zu Stierkämpfen, doch das hat nichts mit dem Töten der Tiere zu tun. Die 20 Jahre, in denen ich zu den Anhängern gehörte, waren auch das Ende der wohl besten Ära. Meine ersten Erfahrungen machte ich in einer Gruppe britischer Fans in der Malagueta-Arena im Jahr 1964. Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren würde, doch ich fand es schlicht hypnotisch. Es waren die Euphorie und die Erwartungshaltung der Menschenmenge, die mich in ihren Bann gezogen haben», erzählt sie.
«Sich einmischende Ausländer»
Bis heute gibt es viele spanische Stierkampfanhänger, die denken, bei den Tierschutzaktivisten handele es sich nur um «sich einmischende Ausländer». Selbst der aus Málaga stammende Juan García Postigo, seinerzeit Mister España und 2007 zum schönsten Mann der Welt gekürt, der nun wirklich kein Stierkampffan ist, fordert, das Ende der Corridas sollte eine Entscheidung der Spanier sein. García: «Ich denke, jeder hat das Recht, eine Meinung zum Stierkampf zu haben, doch ich wünschte mir, dass Ausländer, die ein Ende des Stierkampfs fordern, sich zumindest zunächst gut informierten, bevor sie gegen etwas protestieren, das sie nicht gänzlich verstehen.»
Nicht fundierte Überzeugung
Ein Aktivist, der lieber anonym bleiben möchte, versichert, die Menschen seien sich einfach nicht der «brutalen Wahrheit» zu dieser uralten Tradition bewusst. «Stiere leiden schon lange bevor der eigentliche Kampf beginnt. Sie werden in nicht artgerechten Gehegen gehalten, in denen sie kein Leben haben», sagt er. Dem widerspricht jedoch die Art und Weise, in der 'Toros bravos', die Kampfstiere, vor ihrem Antritt in der Arena gehalten werden. Diese Tiere werden in großen Stierzuchtfarmen aufgezogen, haben, so die Worte eines Anhängers, «ein freies, luxuriöses und respektiertes Leben».
Stiertreiben
Nicht nur das Spektakel in den Stierkampfarenen ist vielen Ausländern in Spanien ein Dorn im Auge. Auch die Stiertreiben von Pamplona, die Sanfermines im Juli, werden mit viel Kritik überschüttet. Das traditionelle 'Laufen mit den Stieren' durch die Straßen der Regionshauptstadt von Navarra – Hemingway machte es mit seinem Roman 'Fiesta' noch einmal bekannter – fordert jedes Jahr wenn nicht Tote, so doch viele Verletzte und lässt Gegner des Spektakels ein sofortiges Ende einklagen. Doch die Sanfermines sind längst ein weltweit bekanntes Tourismus-Event, jeder kann sich während der Fiesta mit den Stieren messen, darunter ebenso professionelle Läufer wie Furchtlose, Übermütige und restlos Unvernünftige. Während die erfahrenen Läufer das Stiertreiben zu einer Kunstform perfektionieren, müssen die Unvernünftigen und Waghalsigen, darunter viele junge Leute aus dem Ausland, wohl all ihren Mut zusammennehmen, um sich mit Tonnen von Tierpower messen zu wollen. Und genau das gehört für viele Kritiker abgeschafft.
Jahrhundertealte Debatte
Spaniens Verhältnis zum Stier hat sich in den zurückliegenden 2.000 Jahren verändert, es wurde an Argumenten dafür und dagegen gefeilt, seit diese Tradition mit Beginn des 18. Jahrhunderts ausgehend von Ronda aus mehr und mehr Gestalt annahm. Zwei Jahrhunderte zuvor war der Stierkampf offiziell verboten, nachdem Papst Pius V. die Bulle «'uper prohibitione agitationis taurorum & ferarum' veröffentlicht hatte. Diese untersagte Stierkämpfe unter Androhung der Exkommunikation. Der Papst warnte auch davor, dass jene, die dem Stierkampf huldigten, kein kirchliches Begräbnis zu erwarten hätten. Spanien aber ignorierte den päpstlichen Willen und die Androhungen, es heißt sogar, König Felipe II. habe die Bulle unter Verschluss und geheim gehalten.
Unter Franco dann wurde Stierkampf zum Nationalsport erklärt. Die Debatte, ob er verboten werden sollte, dauert derweil schon seit Jahrhunderten an und es scheint, dass dieser Kampf noch lange nicht ausgetragen ist.
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