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Die Plaza Mayor mit der Kurche San Juan Bautista und der Torre del Rejoj. BEATRICE LAVALLE
Idyllische Kleinstadt mit unerfüllten Träumen

Idyllische Kleinstadt mit unerfüllten Träumen

BEATRICE LAVALLE

CHICLANA.

Dienstag, 1. April 2025

In den 1980er Jahren, mit dem Beginn des Tourismus-Booms in Spanien, pries sich die kleine Gemeinde Chiclana in der Provinz Cádiz als das Florida Europas an. Mit der Urbanisation Novo Sancti Petri, einer Ende der 1980er Jahre direkt am Strand errichteten Anlage aus Luxushotels, Golfplätzen und Einkaufszentren, sollten Besucher aus Nordeuropa angelockt werden. Doch dieses Makroprojekt erlitt schon vor seiner vollständigen Fertigstellung durch die Wirtschaftskrise Anfang der 1990er Jahre die ersten Rückschläge. Nur durch die Bemühungen verschiedener Reiseunternehmer, das Projekt durch Direktflüge von Deutschland zum nahegelegenen Flughafen von Jerez de la Frontera wieder attraktiv zu machen, konnte zumindest ein Teil der geplanten Einrichtungen fertiggestellt werden. Heute besitzt die Urbanisation, die mehr Hotelplätze als jeder andere Ort der Provinz Cádiz und der Costa de la Luz vereint, acht Hotels mit vier Sternen und weitere vier der 5-Sterne-Kategorie, sowie einen Golf-Club mit zwei 18-Loch-Parcours sowie Tennis-, Pádel- und Krocket-Plätzen, die jedoch nicht die Massen, auf die man gehofft hatte, anziehen.

Trotz dieser immensen Tourismusanlage scheint in dem Dorf die Zeit stehen geblieben zu sein. Der historische Stadtkern von Chiclana hat mit verwinkelten Gassen, bezaubernden Kirchen und Kapellen, Bodegas und Tavernen seinen traditionellen Charme bewahren können und am Fluss Iro, der die Gemeinde durchläuft, lädt eine bezaubernde, mit Pavillons, Brunnen und Bars gespickte Uferpromenade zum Flanieren ein.

Obwohl die offizielle Gründung von Chiclana erst im 14. Jahrhundert erfolgte, befand sich, wie archäologische Fundstücke, die im Cerro del Castillo hinter der Kirche San Juan Bautista ausgegraben wurden, belegen, im heutigen Stadtzentrum schon eine phönizische Siedlung. In der Nähe des vor der Küste Chiclanas gelegenen Islote de Sancti Petri soll zudem der zu Ehren des phönizischen Gottes Melkart errichtete Tempel, der später von den Römern als Kultstätte für Herkules genutzt wurde, gestanden haben. Der in der Nähe des Flusses Iro gelegene Cerro del Castillo diente später den Puniern und ab dem ersten Jahrhundert vor Chr. den Römern als strategisch günstiger Standort. Auch muslimische Ansiedlungen sind durch verschiedene archäologische Funde belegt. Doch obwohl die Gemeinde schon eine lange Geschichte aufweisen konnte, fand die erste offizielle historische Erwähnung erst im Jahr 1303 durch König Fernando IV. statt, der diese Ländereien der Adelsfamilie von Medina Sidonia übertrug.

In Chiclana sollte man unbedingt eine der vielen Bodegas besuchen. BEATRICE LAVALLE

Wie die gesamte Küste von Cádiz profitierte auch Chiclana im 17. und 18. Jahrhundert von dem florierenden Geschäften mit Lateinamerika des Hafens von Cádiz und wurde ebenso wie die Provinzhauptstadt 1755 von dem auf das Erdbeben von Lissabon folgenden Tsunami und Anfang des 19. Jahrhunderts von den französischen Truppen heimgesucht. In der früheren Geschichte zeichnete sich Chiclana durch seine Fischereiindustrie aus. Das heute zu Chiclana gehörende frühere Fischerdorf Sancti Petri, das nichts mit der zuvor erwähnten, in der Nähe der Playa La Barrosa errichteten Tourismusanlage Novo Sancti Petri gemein hat, war zwischen den 1940er und 1970er Jahren ein bedeutendes Zentrum der Almadraba, des traditionellen Thunfischfangs. Der Rückgang der Fischbestände führte zur Auflösung des staatlichen Almadraba-Konsortiums, das im Besitz dieser Ländereien war, und der Abwanderung der Bevölkerung. Da die Ansiedlung durch fehlende Aktivitäten verfiel, wurde sie vom Verteidigungsministerium enteignet, bis das Gebiet 1993 wieder für kommunale Zwecke freigegeben wurde. 2001 wurde zwar ein Regenerationsplan angekündigt, der jedoch bis auf eine rudimentäre urbane Struktur und die Restaurierung einiger Gebäude noch nicht Form angenommen hat. Seit einigen Jahren ist das Poblado Sancti Petri auch Austragungsort des Concert Music Festivals, das in seiner diesjährigen Ausgabe im Juli Konzerte von unter anderem Nicky Jam, Ludovico Einaudi und Rod Stewart bieten wird.

Gegenüber dieser Ansiedlung befindet sich die zur Gemeinde San Fernando gehörende Insel Sancti Petri mit ihrer beeindruckenden Burg. Obwohl diese Burganlage zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert errichtet wurde, wird vermutet, dass sich hier der eingangs erwähnte Melkart-Tempel befunden haben könnte. Vom Poblado de Sancti Petri aus werden Katamaranfahrten zu dem inzwischen restaurierten und zum Kulturgut deklarierten Castillo Sancti Petri angeboten. Von der Insel aus kann man zudem spektakuläre Sonnenuntergänge genießen.

Sehenswert ist in Chiclana auch die neoklassische Kirche San Juan Bautista, die im 18. Jahrhundert auf den Überresten einer früheren Kirche, errichtet wurde. Das Gotteshaus dominiert die Plaza Mayor der Gemeinde, die ebenfalls die emblematische Torre de Reloj beherbergt. Durch den im 18. Jahrhundert über einem der früheren Stadttore errichteten Turm führt auch heute noch eine Straße. Die Torre del Reloj bildet zusammen mit der Kirche San Juan Bautista nicht nur ein beeindruckendes architektonisches Ensemble, sondern dient dem unvollendet gebliebenen Gotteshaus auch als Kirchturm.

Die im 18. Jahrhundert errichtete Kirche San Telmo, deren rechteckiger Glockenturm von einem Storchenpaar bewohnt wird, besitzt einen beeindruckenden vergoldeten Barockaltar. Ein weiteres Beispiel für die andalusische Barockarchitektur ist die Ermita de la Vera Cruz, deren Ursprung eine Kapelle aus dem 16. Jahrhundert war und deren heutiges Erscheinungsbild das Ergebnis einer Restaurierung ist, die Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte. Die auch als Ermita del Santo Cristo bekannte Kapelle zeichnet sich durch ihre Schlichtheit und eine bildhauerische Besonderheit aus: die Figur des Santo Cristo stammt aus dem mexikanischen Veracruz und wurde, einer lateinamerikanischen Bildhauertechnik folgend, aus Jutepaste und Maisrohr hergestellt. Neben diesen und anderen Gotteshäusern sind auch Zivilbauten wie die Herrenhäuser und Paläste aus dem 18. Jahrhundert von architektonischem Interesse. Freunden der Kunst und Geschichte steht zudem das Museo de la Ciudad in der Casa Briones offen, das Relikte aller Epochen vereint.

Weinproben mit Führungen in den Bodegas der Stadt

In der für ihre Winzertradition berühmten Stadt, in der schon im 9. Jahrhundert vor Chr. Weine hergestellt wurden, sollte man jedoch auch eine der vielen Bodegas besuchen und die große Vielfalt der hier produzierten Weine – Fino, Muskateller, Olorosos, Amontillados, Cremes, Rotweine, Roséweine und Weißweine – kennenlernen. Den größten Aufschwung erlebte die Weinproduktion Chiclanas im 18. Jahrhundert, als die hier hergestellten Tropfen neben Lateinamerika auch nach England, Frankreich und Portugal exportiert wurden. In dem Centro de Interpretación del Vino y la Sal an der Plaza de las Bodegas, kann man nicht nur viel über die Weinherstellung, sondern auch über die Salzgewinnung, ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig Chiclanas, erfahren.

Viele der Bodegas der Gemeinde bieten auch Führungen und Weinproben mit Tapas an und einige besitzen sogar ihr eigenes Weinmuseum. Die hervorragenden Tropfen begleiten eine nicht minder vielfältige Gastronomie, die mit so typischen Gerichten wie frittiertem Fisch, Tortilla de Camarones (ein frittiertes Gebäck mit Krabben), Cicharrones (gebratene Schweinebacke), Schnecken- und Golddisteleintopf nicht nur Meeresprodukte, sondern auch Wurstwaren und Gemüse aus dem Hinterland bietet. All diese Köstlichkeiten findet man in den typischen Bars und Tavernen der Altstadt, die im Gegensatz zu der touristischen Anlage Novo Sancti Petri noch die Authentizität eines typischen andalusischen Dorfes besitzen.

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