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«Sie wissen nicht mal, dass sie in El Hierro landen, sie wollen nach Madrid»

Migration. Der Großteil der weit über 40.000 Migranten, die in diesem Jahr die Kanaren erreicht haben, ist im Hafen von La Restinga gelandet. Zwei Priester berichten von ihren Erfahrungen

ALMUDENA SANTOS

Donnerstag, 19. Dezember 2024

Mitten im Atlantik, wo das Echo der Welt zu verklingen scheint, liegt El Hierro, der südlichste Punkt Europas, der lange Zeit als das letzte Stück Land vor dem Ende der Welt galt. Eine wilde und zerklüftete Insel, die etwas mehr als 11.000 Einwohner hat, welche sich, trotz des stetig steigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung, «voll und ganz» der Bewältigung eines der besorgniserregendsten Probleme Spaniens zugewandt hat: der Einwanderung.

Seit mehr als einem Jahr ist der Hafen von La Restinga im Süden der Insel das wichtigste Tor zu den Kanarischen Inseln und damit zu Spanien. Diejenigen, die vor Ort arbeiten, sowohl bei der Ausschiffung als auch während der maximal drei Tage, die die Migranten dort bleiben können, sind von der Situation immer wieder aufs Neue ergriffen. So wie Darwin und Gabriel, zwei auf El Hierro stationierte Priester, die angesichts der dramatischen Situation und der notwendigen Hilfe beschlossen haben, einen Teil ihrer freien Zeit für die Betreuung dieser Menschen zu verwenden.

Beide sind seit etwas mehr als einem Jahr Freiwillige des Zivilschutzes und obwohl sie alle möglichen Situationen erlebt und die bittersten Folgen dieser Überfahrten über den Atlantik gesehen haben (sie dauern mindestens vier Tage und teilweise bis zu 20), sind sie immer noch schockiert von den Geschichten, die diese Migranten bei ihrer Ankunft auf der Insel erzählen. «Die härteste Geschichte, an die ich mich erinnere und die einige meiner Begleiter zum Weinen brachte, ist die eines Bootes, das mit etwa 30 Personen an Bord ankam», erklärt Gabriel. Zu Beginn der Reise waren es 90. Das Problem war, dass das Boot «ohne Kapitän und ohne Orientierungshilfe losgefahren ist und sich mitten auf dem Meer verirrt hat». Als die Überlebenden in La Restinga ankamen, waren sie alle still. Sie hatten nicht die Kraft, von der Tragödie zu erzählen, die sie erlebt hatten. Einige suchten Hilfe bei diesem Priester, dem einige gestanden, dass sie gezwungen worden waren, ihre Frau oder Tochter über Bord zu werfen. «Ein anderer Junge erzählte mir unter Tränen, dass er dasselbe mit seinem besten Freund und seinem Bruder tun musste», fügt er hinzu.

ZITATEDarwin Rivas Priester und freiwilliger Helfer«Wenn es an Bord Probleme gibt, zögern sie nicht, Familie oder Freunde über Bord zu werfen. Es ist eine reine Frage des Überlebens» Gabriel Hernández Priester und freiwilliger Helfer«Ich kenn die Geschichte eines Cayuco, das ohne Kapitän auslief und auf offener See verloren ging. Nur 30 der 90 Insassen kamen an»

«Sie erzählen uns sehr harte Geschichten», sagt Darwin, der die tragischen Schilderungen nicht vergessen kann, die er sich anhören muss, seitdem er im Aufnahmezentrum der Insel in San Andrés arbeitet, das eine Kapazität von 500 Personen hat – 800, wenn eine benachbarte Sporthalle entsprechend hergerichtet wird. Sprachlos machen ihn immer noch die Halluzinationen, unter denen viele der ankommenden Migranten leiden, nachdem sie mit Zucker vermischtes Meerwasser getrunken haben – ein Mittel, um den Salzgeschmack zu neutralisieren. «Wenn ihnen das Trinkwasser ausgeht – sofern sie überhaupt welches dabeihatten – werden sie sehr nervös und trinken Meerwasser», sagt der Priester, der in El Pinar, im Süden der Insel, die Messe hält.

«Der Wahn, der die Migranten ergreift, die nur vor Krieg, Armut und Verfolgung fliehen wollten, führt zu einer unkontrollierten Bewegung im Boot, die es schließlich destabilisiert. Um zu verhindern, dass es kentert und eine Tragödie wie die von Ende September auslöst, fesseln sie sie, und wenn das Schwanken anhält, werfen sie die Verursacher ins Meer, auch wenn es sich um Familienangehörige oder Freunde handelt. Es ist eine reine Frage des Überlebens», erklärt Darwin.

Die Wirkung des Gemischs aus Salzwasser und Zucker hat auch Gabriel zu sehen bekommen, als ein junger Mann im Zentrum ankam, der sich sicher war, dass seine Begleiter und die übrigen Betreuer der Migranten auf der von der Zentralregierung eingerichteten Esplanade ihn umbringen wollten. Aufgrund der riskanten Situation beschlossen die Verantwortlichen der Nationalpolizei, ein Zelt für ihn allein aufzustellen. «Normalerweise teilen sie sich bei ihrer Ankunft die Einrichtungen unter rund 16 Personen. Aber in diesem Fall haben sie aus Sicherheitsgründen beschlossen, ihn allein zu beherbergen», sagt Gabriel.

Opfer der Mafias

Jedes Jahr verlassen Tausende von Menschen ihre Herkunftsländer auf der Suche nach einer besseren Zukunft. In diesem Jahr sind weit über 40.000 Menschen auf den Kanarischen Inseln angekommen. In der Vergangenheit kamen die meisten Migranten zwischen September und November, da sich in diesem Quartal die Passatwinde abschwächen. Mitte Oktober muss jedoch etwas passiert sein, denn zwischen dem 17. und 26. Oktober kam kein einziges Boot in La Restinga an. Eine Ruhe, die Ängste und die Vorahnung weckte, dass die Boote Schiffbruch erlitten haben könnten oder dass, falls dies nicht der Fall sein sollte, eine Ankunft in Massen bevorstand. Und genau das ist am 1. November geschehen, als fast 2.000 Menschen auf den Kanarischen Inseln ankamen, in der Hoffnung, ein würdiges und sicheres Leben zu finden. Der Weg zu diesem Ziel ist jedoch voller Hindernisse und Gefahren, von denen viele direkt von kriminellen Organisationen ausgehen, die die Schutzbedürftigkeit und Hilflosigkeit der Migranten ausnutzen.

Internationale Mafias haben die Migration zu einem millionenschweren Geschäft gemacht. Sie bieten illegalen Transport, falsche Papiere und sogar Arbeitsversprechen in den Aufnahmeländern an, die oft in Ausbeutung und Missbrauch enden. Darwin und Gabriel haben die Lügen, denen sie ausgesetzt sind, aus erster Hand erfahren. «Sie (die Migranten) sind sehr fröhlich und veranstalten aus dem Nichts heraus eine Party. Als der Afrika-Cup ausgetragen wurde, waren alle gespannt, wer gewinnt», sagt Gabriel. Aber das sind nur flüchtige Momente, sie dauern nur kurz, denn ihre Realität ist anders, sehr hart. «Sie kommen in der Hoffnung, dass sich ihr Leben sofort verbessern wird und dass sie eine Arbeit bekommen», sagen die Priester, die eine schwierige Aufgabe haben: nämlich den Betroffenen zu erklären, dass ihre Situation weit von dem entfernt liegt, was sie sich vorgestellt haben – dass sie bei Null anfangen müssen und ein schwerer Weg vor ihnen liegt.

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