Deutsche Powerfrau hat in Marbella ihr Leben neu erfunden
Wow. Sie selbst würde sich nie als Powerfrau bezeichnen. Viel zu abgedroschen, findet sie – doch wer hört, was sie in den letzten Jahren erreicht hat, kommt unweigerlich zu dem Schluss: eine Macherin mit Mut und Entschlossenheit. Eine, die ihre Komfortzone hinter sich ließ und aus einem goldenen Käfig entwichen ist. Nach Marbella.
WOLFGANG STEPHAN
Marbella
Donnerstag, 10. Juli 2025
Wenn der Schreibtisch der Spiegel der Seele ist – was Psychologen so behaupten – dann wird es schwierig, aus der Betrachtung ihres Arbeitsplatzes eine Schlussfolgerung zu ziehen. Außer: Es könnten Nuancen von Neid entstehen, denn Yvonne Stamm arbeitet in Marbella auf dem Balkon ihres Apartments mit Blick auf das Mittelmeer. Laptop, Mineralwasser, Notizblock. Und den Kopf voller Wissen und Ideen.
Die im hessischen Marburg geborene Mutter einer 19- und 17-jährigen Tochter genießt das Privileg, im Homeoffice von überall in der Welt zu arbeiten: Sie ist unter anderem zertifizierte Übersetzerin und Dolmetscherin und bietet online vor allem Deutschunterricht an: Für Mitarbeitende in Konzernen, aber auch für Privatkunden, neuerdings vermehrt an der Costa del Sol, ihrem Domizil, das sie mehr oder weniger zufällig gefunden hat.
Rom oder Málaga standen zur Auswahl. Die Antwort lautete Marbella. Der Ort des Neuanfangs einer Frau, die in Deutschland eine Welt hinter sich ließ, die eigentlich nichts zu wünschen übrig ließ. Eigentlich.
Mit jedem Online-Kurs kam sie sich selbst ein Stück näher. «Durch meine Arbeit fand ich wieder meine innere Balance»
«Ja, das Leben schien es damals ziemlich gut mit mir gemeint zu haben», sagt die Frau in den besten Jahren des Lebens. Abitur, Dolmetscher-Studium in Gießen, dann Mitte der neunziger Jahre erste Engagements als Übersetzerin in Konzernen in Frankfurt. Eigentlich lief alles perfekt, sagt sie. Bis sie spürte, dass ihr das Übersetzen wenig Spielraum für Kreativität ließ. «Mir war das schlicht langweilig.» Als Alliance-Managerin in einer großen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsfirma war sie für die strategische Ausrichtung zuständig. Karriere auf Kurs. Bis zum Knick. Denn: Heirat, zwei Kinder, Leben im Taunus. Ein Haus, Tennis, Pferde, Malerei. Der Inbegriff bürgerlicher Erfüllung.
Yvonne Stamm hätte eigentlich keinen Grund zur Klage gehabt. Wenn, dann auf hohem Niveau. Aber das entwickelte sich zu ihrem Problem. Alles schien geordnet – aber innerlich wuchs die Unzufriedenheit. «Ich war Teil einer Welt, die nicht meine war.»
Es war kein abrupter Ausbruch, eher ein vorsichtiges Tasten. Ein Fernstudium, erste Lehraufträge für das Goethe-Institut, Einsätze an der Elfenbeinküste. Immer mal wieder, nie lange, aber so lang, dass sie spürte, was sie wollte: Raus aus der Scheinwelt im Taunus, zumal auch die Ehe längst mit Problemen behaftet war. Die Gründung ihrer Sprachschule 'Chattery' war der weitere Schritt zum Neuanfang. Ein Herzensprojekt. Sie unterrichtete Geflüchtete, leitete Sprachförderkurse in Grundschulen, entwickelte Online-Unterricht für Menschen aus aller Welt. Mit jedem Kurs kam sie sich selbst ein Stück näher. «Durch meine Arbeit fand ich wieder meine innere Balance», sagt sie. Aber eben immer noch im Taunus.
Als die erwachsene Tochter Chiara zum Studium in die Geburtsstadt der Mutter nach Marburg wechselte, wurde gemeinsam mit Tochter Ylenia der Plan eines Neuanfangs verfeinert. Im Süden. Vielleicht Italien, vielleicht Spanien. Irgendwo da, wo es eine Deutsche Auslandsschule gibt.
Heute lebt Yvonne Stamm mit Tochter Ylenia und Hund Romeo am Paseo in Marbella. «Ich arbeite, wo ich will und vor allem: wie ich will», sagt sie mit einem erfrischenden Lächeln einer Frau, die sich vom späten Glück geküsst fühlt.
«Perfekter hätte es nicht laufen können», sagt Yvonne jetzt, denn erst bekam Tochter Ylenia einen Platz an der Deutschen Schule und dann klappte auch gleich ihre erste Bewerbung in einer Steuerberatungsfirma in Marbella. Daneben forcierte sie die Akquise für ihre Sprachschule. Zielrichtung: Individueller Sprach-Unterricht für Menschen in aller Welt, die Deutsch lernen wollen oder müssen, gerne auch am Abend oder an den Wochenenden. Von Hotel-Managern, Handwerkern, Kinder, Ehepartnern oder Sportlern. «Ein Jahr lang habe ich fast rund um die Uhr gearbeitet.»
Dass sich das zeitnah ändern werde, befürchtet sie nicht. Den Bürojob hat sie zwar gekündigt, dafür aber Pläne parat, um 'Chattery' auf eine weitere Angebots-Ebene zu führen: Einmal auch Spanisch und Englisch zu lehren, das entsprechende Fachpersonal hat sie im Portfolio. Daneben wächst die Idee, ein Beratungscenter für Deutsche zu bieten, die an der Costa sesshaft werden wollen. «Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, was solche Menschen brauchen.» Kontakte zu seriösen Maklern, Rechtsanwälten, Ärzten, Steuerberatern, Handwerkern, bis hin zur Hilfe bei den staatlichen Stellen, vom TÜV bis zum Einwohnermeldeamt. Gemeinsam mit einem Freund werden die ersten Stellschrauben verankert. Ein Leben am Meer, ein Beruf, der erfüllt, und der Mut, loszugehen, obwohl alles sicher scheint – auch eine Definition von Erfolg.
Was treibt die Frau an? Die Antwort ist so vielfältig wie sie selbst. «Meine Lust auf Kreativität, auf neue Projekte und vermutlich auch die Erkenntnis, als Frau vieles schaffen zu können.» Weil das alles eher pathetisch klingen könnte, schiebt sie nach: Eigentlich ist mit einem Satz alles gesagt: «Ich will meinen wunderbaren Töchtern ein gutes Vorbild sein.»
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