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Jürgen Dewald in Tarifa. SDA
Radfahren

Freiheit auf zwei Rädern: Von Deutschland über Marbella bis Afrika mit dem Fahrrad

Jürgen Dewald schwang sich nach 47 Berufsjahren auf den Sattel und fuhr bis ans Ende von Europa und darüber hinaus

Dana Nowak

Marbella

Donnerstag, 4. September 2025

Nach jahrzehntelanger Verantwortung als Mitglied der Geschäftsführung eines international tätigen Konzerns kehrte Jürgen Dewald seinem Berufsleben buchstäblich den Rücken. Statt in den Ruhestand zu gleiten, schwang er sich auf sein Fahrrad und fuhr los. Tausende Kilometer bis nach Südspanien und darüber hinaus.

Als der Ruhestand nahte, stand für ihn fest, dass er nicht einfach nur aus dem Büro ausscheiden wollte. «Rentner klang für mich nach Stagnation, Mittagsfernsehen und Abhängen im Jogginganzug. Ich suchte nach einer Herausforderung, die meine ganze Energie brauchte, quasi den Katapult in einen neuen Lebensabschnitt», erzählt Jürgen Dewald. Anfang 2023 erwarb das Ehepaar eine Wohnung in Marbella, und da wurde ihm schlagartig klar, was er machen wollte. Eine Tour mit dem Fahrrad von der einen zur anderen Wohnung oder vielleicht gleich bis nach Afrika?

Keine Vorerfahrung

Nach 47 Berufsjahren sattelte er um, im wahrsten Sinne des Wortes. «Am 30. September 2024 habe ich um 17 Uhr den Rechner heruntergefahren und am nächsten Morgen saß ich um 8 Uhr auf dem Rad.» Kein sanfter Übergang, sondern ein radikaler Schnitt. Mittlerweile hat er Tausende Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt, Europa auf zwei Rädern entdeckt und in Marbella ein zweites Zuhause gefunden.

Was als einfache Fahrt von der Wohnung in Münster zur neuen Wohnung in Marbella begann, entwickelte sich schnell zu einer echten Herausforderung. Trotz sportlicher Vorerfahrung verfügte er über keinerlei Fahrraderfahrung. «Ich bin vorher nie wirklich Rad gefahren, jedenfalls nicht mehr als zehn Kilometer am Stück», sagt er lachend. Unzählige Platten, gebrochene Felgen und ein defekter Freilauf konnten ihn jedoch genauso wenig aufhalten wie unpassierbare Teilabschnitte und überflutete Radwege.

Seine erste Route führte ihn Ende Oktober 2024 auch durch Valencia und direkt an dem von der Jahrhundertflut besonders stark betroffenen Vorort Paiporta vorbei. «Nur 36 Stunden später starben dort aufgrund der Überschwemmungen mindestens 229 Menschen. Ich bin selbst in das Unwetter geraten, fühlte mich aber auf dem Rad im knietiefen Wasser nie wirklich gefährdet», erzählt der 63-Jährige, der in keinem Moment daran dachte, die Tour abzubrechen.

Vor der Kathedrale von Santiago de Compostela, Zwischenstopp, Eingangsbogen von Marbella Privat
Imagen principal - Vor der Kathedrale von Santiago de Compostela, Zwischenstopp, Eingangsbogen von Marbella
Imagen secundaria 1 - Vor der Kathedrale von Santiago de Compostela, Zwischenstopp, Eingangsbogen von Marbella
Imagen secundaria 2 - Vor der Kathedrale von Santiago de Compostela, Zwischenstopp, Eingangsbogen von Marbella

Reisepass vergessen

Eine perfekte Vorbereitung gibt es nicht. Und vielleicht braucht es sie auch gar nicht. «Nach so vielen Jahren deutscher Perfektion will ich nicht auch noch mein Abenteuer durchplanen.» Sein Fahrrad ist mehr als ein Fortbewegungsmittel. Es ist Begleiter und treuer Partner auf dem Weg zur Freiheit. Nach 46 Reisetagen erreichte er schließlich Tarifa, wo er nach Afrika übersetzen wollte. Doch die Überfahrt wurde ihm verweigert, er hatte seinen Reisepass vergessen. Enttäuscht, aber nicht geschlagen, kehrte er im November 2024 nach Deutschland zurück.

Ein halbes Jahr später, im Mai 2025, setzte er sich erneut auf sein Rad, diesmal besser vorbereitet und mit einem neuen Plan. Diese Tour sollte ihn über den Jakobsweg führen, von Deutschland, über die Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal, insgesamt 4.000 Kilometer bis nach Tarifa.

Jakobsweg per Rad

Was folgte, war mehr als nur eine sportliche Herausforderung. Der Jakobsweg, insbesondere der Abschnitt durch Spanien und Portugal, wurde zu einem Abenteuer, voller unerwarteter Erlebnisse und Begegnungen. Nach einem regnerischen Start in Deutschland empfängt ihn in Spanien große Hitze und unerwartete Begebenheiten. «Ich habe bei beiden Touren zwischen acht und zehn Kilo abgenommen. Gerade in den Bergen wurde mir klar, wie wenig Erfahrung ich anfangs hatte. Ich konnte 1.000 oder 1.500 Höhenmeter nicht einschätzen, 15 Prozent Steigung? Da wusste ich einfach nicht, was da auf mich zukommt. Das habe ich unterschätzt, aber es gab auch schöne Begegnungen. «Die Menschen waren unglaublich offen, friedlich und vor allem auch sehr hilfsbereit», erinnert er sich.

Seine Touren sind keine Sonntagsausflüge, sondern ein echtes Abenteuer, nicht nur körperlich, sondern auch emotional. «Man ist oft allein auf dem Rad, aber nie einsam. Die Welt zieht langsam an einem vorbei und da gibt es viel zu entdecken. Und man kann jeden Tag so gestalten wie man will. Wenn du einmal echte Freiheit gespürt hast, dann macht sie süchtig», sagt er. Und so ist jeder neue Ort, jeder unbekannte Weg für ihn wie ein Geschenk. «Nach den ersten 30 Kilometern in Deutschland kennst du nichts mehr und das ist wunderschön.»

Bei seiner zweiten Tour war er vorbereitet. Er hatte seinen Pass dabei und konnte sein Vorhaben, bis nach Afrika zu radeln, zu Ende bringen. Trotz der Strapazen überwiegt für ihn das Positive. Mit 63 Jahren hat er das gewagt, wovon viele nur träumen. Freiheit, Abenteuer und das Leben unter südlicher Sonne. Seine Frau begleitet ihn nicht auf den Touren. «Wir sind seit über 40 Jahren zusammen, da funktioniert eine Beziehung mit Verständnis, Respekt und Kommunikation.»

Die Idee von einem Zuhause im Süden stand schon länger im Raum. Während der Pandemie entdeckten sie Marbella, ursprünglich war Mallorca geplant. «Wir haben uns sofort verliebt in die Altstadt, den Strand und das Flair.» Die Wohnung war schnell gefunden und so pendeln sie mehrmals im Jahr zwischen Deutschland und Spanien, denn noch arbeitet seine Frau.

Erfahrungen im Buch aufgeschrieben

Seine Erlebnisse hat Jürgen Dewald in einem Buch festgehalten, auch das war ursprünglich nicht geplant. «Man erzählt Freunden was, und plötzlich fragt jemand: War das in Barcelona? Und ich wusste es nicht mehr.» Also begann er, seine Reise Revue passieren zu lassen, erst für sich, später für andere. Täglich hatte er auf seinen Touren auf Instagram kurze Videos veröffentlicht, über Pannen, schöne Landschaften und kleine Alltagsabenteuer. Was als persönliche Verarbeitung begann, wurde schnell zu mehr. Seine Tochter fand den Text so lesenswert, dass sie ihn ermutigte, das Ganze zu veröffentlichen. In seinem ersten Buch «Der Ruhestand muss warten» beschreibt er seine Erfahrungen. «Ich bezeichne es als ‚Hausmannskost plus', das heißt, dass Abenteuer keine Ferrari brauchen, denn manchmal reicht ein Fahrrad und etwas Mut.»

Ein weiteres Buch über die zweite Tour ist bereits in Arbeit. Und während Jürgen Dewald davon erzählt, wird klar: Das Abenteuer endet nicht mit dem Ruhestand, sondern für manche beginnt es da erst.

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