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Archäologische Ausgrabungsarbeiten in der Ebene TE7 der Sima del Elefante (Sierra de Atapuerca, Burgos). FOTOS: MARÍA D. GUILLÉN / IPHES-CERCA

Neue Menschenart in Spanien entdeckt?

Mit dem Fossil-Fund datieren Forscher die menschliche Präsenz in Westeuropa 300.000 Jahre früher als bisher angenommen

MANUEL MEYER

BURGOS.

Donnerstag, 27. März 2025

Es war ein heißer Sommertag Ende Juni 2022. Die spanische Paläontologin Rosa Huguet und ihr Team vom Katalanischen Institut für Humanpaläoökologie und soziale Evolution (Iphes) waren in der Ausgrabungsstätte von Atapuerca auf der Suche nach menschlichen und tierischen Fossilen.

Das Standsteingebirge im Norden Spaniens in der Nähe von Burgos gehört zu den wichtigsten paläontologischen Fundstätten in Europa. Aufgrund seiner Bedeutung für die Evolutionsforschung der Hominide – sprich Menschenaffen und Frühmenschen – erklärte die UNESCO Atapuerca bereits im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe.

ZEITTAFEL: DER WEG ZUM MODERNEN MENSCHEN

  • 13 Millionen Jahre: Das älteste, jemals gefundene Fossil eines Menschenaffen wurde in Kenia gefunden und geht auf 13 Millionen Jahre zurück.

  • 6 Millionen Jahre: Vor etwa sechs Millionen Jahren lösten sich erste Menschengattungen von den Menschenaffen ab. Forscher gehen davon aus, dass alle Arten von Menschen auf den Homo erectus zurückgehen, der ersten aufrecht gehenden Menschenart.

  • 2,5 Millionen Jahre: Es entstehen neue Menschengattungen wie der Homo rudolfensis (vor 2,5 bis 1,9 Mio. Jahren) oder der Homo habilis (vor 2,1 bis 1,5 Mio. Jahren).

  • 2 Millionen Jahre: Vor rund 2 Millionen Jahren breitete sich der Homo erectus von Afrika über den Nahen Osten zunächst nach Asien und später nach Europa aus. Die bislang ältesten Belege menschlichen Lebens in Europa sind 1,8 Millionen Jahre alte Knochenfossile eines Homo erectus.

  • 700.000 Jahre: Aus dem Homo erectus geht der Homo heidelbergensis (vor 700.000 bis 300.000 Jahren) hervor, aus dem sich wiederum die Neandertaler (130.000 bis 40.000 Jahren) und der Homo denisova (ausgestorben vor 14.500 Jahren) entwickelten.

  • 300.000 Jahre: Vom Homo sapiens wurden die bisher ältesten Fossile in Marokko gefunden. Sie sind 300.000 Jahre alt. Zeitgleich mit dem frühen Homo sapiens in Afrika lebten in Europa Neandertaler, der Homo denisova und der homo heidelbergensis, dessen Überreste bei Heidelberg gefunden wurden.

  • 45.000 Jahre: Der Homo sapiens breitete sich von Afrika in mehreren Auswanderungswellen über die gesamte Welt aus und erreichte Europa vor rund 45.000 Jahren. Hier trafen sie auf ältere Menschenformen wie den Homo denisova in Eurasien sowie den Neandertaler. Der Homo sapiens setzte sich in der Evolutionsgeschichte schließlich durch, alle anderen Menschenarten starben aus. Somit stammen alle heutigen Menschen vom Homo Sapiens ab.

«Atapuerca bildet wie kaum eine andere Fundstelle in Europa fast lückenlos die menschliche Evolution während des gesamten Pleistozäns ab», erklärt Huguet. Unter dem Pleistozän versteht man das letzte Eiszeitalter, das vor ungefähr zwei Millionen Jahren begann und etwa 10.000 vor Christus endete.

In den vergangenen Jahrzehnten fanden Wissenschaftler in den zahlreichen Höhlen und Ablagerungsschichten in Atapuerca immer wieder Steinwerkzeuge, Tierfossile und Versteinerungen menschlicher Knochen – vom Homo antecessor über den Homo heidelbergensis bis hin zu Neandertalern und Homo sapiens, die hier vor 15.000 Jahren lebten. Allein in der 'Sima de los Huesos', der 'Knochengrube', fanden Paläontologen die Überreste von 32 frühzeitlichen Steinzeitmenschen.

Die ältesten Beweise auf menschliche Existenz gingen auf der Iberischen Halbinsel bisher auf den Homo antecessor zurück. Dabei streiten die Forscher seit Jahren, wo sie ihn im menschlichen Stammbaum einordnen sollen. Bisher wurde seine Existenz nur in Nordspanien nachgewiesen. War er eine Vorform des Homo heidelbergensis, aus dem sich wahrscheinlich der Neandertaler entwickelte? Oder führt vom Homo antecessor sogar eine direkte Abstammungslinie zum Homo sapiens?

Immer wieder machten Wissenschaftler in Atapuerca Funde, welche die menschliche Evolutionsgeschichte in Europa veränderten. So wie 1997, als sie die Reste eines 850.000 Jahre alten Homo antecessor freilegten. Zuvor war der älteste Fund dieses frühzeitlichen Menschen im westlichen Europa auf 500.000 Jahre datiert. 2007 fanden die Forscher in Atapuerca dann sogar 1,1 Millionen Jahre alte Knochenreste dieser Spezies und datierten damit erneut die menschliche Existenz im Westen Europas vor.

Im Juni 2022 dann der nächste 'Sensationsfund': Seit Wochen arbeiteten Rosa Huguet und ihr Team in der sogenannten 'Elefantengrube'. Vorsichtig legten sie im 'Nivel 7' in 18 Meter Tiefe mit Schaufeln, Pinseln, Spachteln und Pinzetten Ablagerungsschichten auf der Suche nach Fossilien frei. Am 30. Juni stieß der Doktorand Edgar Téllez auf relativ gut erhaltene Gesichtsknochenfragmente. Zunächst ging er von Tierfossilien aus. Doch selbst die Koordinationsleiter konnten nicht bestimmen, von welchem Tier sie stammten.

Also nahmen die Iphes-Paläontologen um Rosa Huguet die Überreste genauer unter die Lupe. Und die Überraschung war riesig: «Es handelte sich um menschliche Knochen, die bis zu 1,4 Millionen Jahre alt waren. Mit dem Fund können wir also belegen, dass wir noch einmal 300.000 Jahre früher als bisher angenommen menschliche Präsenz in Westeuropa hatten», stellt Huguet klar.

Ein neuer Akteur im Spiel?

Die eigentliche Sensation gaben die Forscher aber erst jetzt, am 12. März, im Fachjournal Nature bekannt. Drei Jahre lang erforschten Huguet und ihre Kollegen die nur wenige Zentimeter großen Knochenfragmente der linken Schläfen-, Wangen- und Oberkieferpartie. Mit 3-D-Computersimulationen rekonstruierten sie das Gesicht des männlichen Individuums. Schnell stellte sich heraus, dass die Knochen nicht von Homo antecessor stammten. «Das war für uns eine Überraschung, da wir immer dachten, die erste Menschenart hier in Spanien sei der Homo antecessor gewesen», so Huguet.

Doch es sollte noch mysteriöser werden. Denn beim Knochenvergleich stellten die Paläontologen des Iphes-Instituts in Tarragona fest, dass der Fund zwar Ähnlichkeiten mit dem älteren Homo erectus hat, jedoch auch Unterschiede aufweise wie bei den Eckzahngruben sowie der Mittelgesichts- und Nasenform. «Sprich, hier kommt ein neuer, uns bisher unbekannter Akteur ins Spiel», verrät Rosa Huguet.

Der Archäologe und Musik-Fan Eudald Carbonell, bis 2024 Co-Leiter der Ausgrabungen in Atapuerca, gab dem Fossil ATE7-1 den Namen 'Pink' in Anlehnung an Pink Floyds berühmtes Album 'The Dark Side of the Moon'. «Denn wie über die dunkle Seite des Mondes, wissen wir auch nur wenig über diese neue Menschenart», erklärt Huguet.

Offiziell bezeichnen das katalanische Forscherteam 'Pink' als 'Homo affinis erectus', da er eng mit dem Homo erectus verwandt zu sein scheint, auch wenn er nicht identisch ist. Sie vergleichen ihn derzeit mit dem Homo asiaticus und dem Homo africanus, um zu erforschen, woher 'Pink' gekommen sein könnte. Der Homo erectus breitete sich vor rund 2 Millionen Jahren von Afrika kommend nach Asien aus. Doch wurden auch Werkzeugreste des Homo Erectus in Georgien und in der Westukraine gefunden.

Die spanischen Wissenschaftler vermuten nun, dass 'Pink' zu einer Gruppe des Homo erectus gehören könnte, die sich in Georgien oder im Nahen Osten vom großen Migrationstross, der nach Asien ging, abspaltete, sich Richtung Westen orientierte und sich dort im Laufe der Jahrhunderte genetisch veränderte. Zwischen Eis- und Warmzeiten dürfte sich die Gruppe auf der Iberische Halbinsel in einer 'wärmeren Savanne' angesiedelt haben, die damals die heutige Region von Atapuerca bei Burgos dominierte.

Das heutige Spanien war anscheinend ein wichtiger Zufluchtsort für die Frühmenschen wie auch für die späteren Homo sapiens während der Eiszeit, die hier im Südwesten Europas weniger hart war. So machen Wissenschaftler nicht nur im nördlichen Atapuerca oder in den Höhlen von Altamira in Kantabrien bedeutende Fossilienfunde, sondern im ganzen Land. Natürlich auch in Andalusien. In Orce bei Granada wurde ein 1,4 Millionen Jahre alter Kinderzahn entdeckt. Die letzten Neandertaler Europas lebten anscheinend vor 40.000 Jahren im Höhlenlabyrinth von Gibraltar.

Urzeitmenschen in Málaga

Auch in der Provinz Málaga gibt es zahlreiche Orte, an denen prähistorische Spuren zu finden sind. Von den Höhlen in Nerja bis hin zu den Dolmen in Antequera. In der Nähe von Ronda kann man in der Sierra de Grazalema in der sogenannten Katzenhöhle und der Cueva de la Pileta Spuren unserer Vorfahren sehen. In den Höhlen von Ardales bei Málaga wurden 65.000 Jahre alte Wandmalereien entdeckt. Auch in der Umgebung des Caminito del Rey gibt es zahlreiche Höhlen, in denen Neandertaler lebten.

Die neuste Entdeckung in Atapuerca ist jedoch von besonderer Bedeutung, da es sich beim Erectus um den ältesten Frühmenschen in Europa handelt. Doch wie und wann kam er aus Afrika? Über den Homo erectus weiß man, dass er durchgehend aufrecht lief. Der aufrechte Gang brachte einen entscheidenden evolutionären Vorteil in der Savanne, da Raubtiere früher zu sehen waren. Er stellte Steinwerkzeuge her, jagte Wildtiere. Mit den Jahrtausenden verlor der Homo erectus die affenähnliche Behaarung, wodurch sich sein Körper vor Überhitzung beim Laufen schützte.

Er beherrschte das Feuermachen und konnte seine Nahrung garen, wodurch er mehr Kalorien und Eiweiß zu sich nahm und sich sein Gehirn weiterentwickelte als das anderer Frühmenschenarten. Der Homo erectus gehörte auch jenen Menschengattungen an, die als erste größere und dauerhaftere Siedlungen gründeten.

Wie der Homo affinis erectus lebte und wie viele Individuen es gab, müssen Rosa Huguet und ihr Team noch herausfinden. Auch weiß man noch nicht, ob dieser neue Menschentypus mit dem Homo antecessor zusammenlebte oder aufgrund klimatischer Bedingungen, Nahrungsmangel oder genetischer Probleme eventuell schon wieder ausgestorben war, bevor der Homo antecessor in Westeuropa eintraf. «Wir stehen erst am Anfang unserer Forschung und werden im kommenden Sommer mit den Ausgrabungen in der Elefantengrube fortfahren, um mehr Erkenntnisse zu erhalten, wer Pink war und woher er kam», sagt Paläontologin Rosa Huguet.

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