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Chefköchin María Marte in ihrem Restaurant-Garten in Jarabacoaía. Manuel Mayer
Karriere

Ein karibisches Aschenputtel

Soziales Engagement. Als Tellerwäscherin arbeitete sich die Migrantin María Marte in Spanien zur gefeierten Sterneköchin hoch. Dann ließ sie alles liegen und eröffnete in ihrer karibischen Heimat eine Kochschule für benachteiligte Frauen

MANUEL MEYER

Madrid

Freitag, 25. April 2025

María Marte streift durch den kleinen Garten, den sie direkt hinter ihrem Restaurant angelegt hat. Ananas, Kokospalmen, Papayas, Bananen, Maracujas, Avocados, exotische Guaven-Früchte und allerlei Gemüsesorten wachsen hier unter der tropischen Sonne. Neben dem Garten rauscht ein kristallklarer Gebirgsbach, der aus den nahen, mit dichtem Dschungel überzogenen Bergen kommt.

Jarabacoa, ihre kleine Heimatgemeinde im Inselinneren der Dominikanischen Republik, ist ein Garten Eden. «Jarabacoa bedeutet ewiger Frühling und Gott hat es wirklich gut gemeint mit diesem Ort. In dieser fruchtbaren Erde gedeiht und wächst einfach alles», sagt María, während sie überlegt, was sie für ihren heutigen Kochunterricht aus dem Garten mitnimmt.

Mit einem breiten Lächeln kommt María zurück in die Küche. Sie bringt einen Kürbis mit, hat frischen Oregano gepflückt. «Daraus machen wir jetzt eine Kürbiscreme mit Cabrales-Käse und Honig», erklärt sie Leidy Romero und Carmen Pineda. Leidy ist 28 Jahre alt, Carmen 24. Beide stammen aus der Inselhauptstadt Santo Domingo. Doch sie wollten ihre Ausbildung unbedingt hier im bergigen Hinterland an Marías neuer Kochschule in Jarabacoa absolvieren. Denn die 46-Jährige ist mehr als eine normale Köchin. Sie ist die erste und einzige ihrer Zunft, die in der Dominikanischen Republik einen Michelin-Stern besitzt. Im Fall des stets lachenden 'Energiebündels' sind es sogar gleich zwei Sterne.

María Marte erhält den Premio Woman Madrid 2018. María Marte/privat

Mit Marías Rückkehr ist Jarabacoa zweifellos zum kulinarisch-gastronomischen Mittelpunkt der Karibikinsel geworden. In ihrem 'Cayena'-Restaurant und dem erst im Februar eröffneten 'Hibiscus' serviert sie geräucherten Aal mit Rocoto-Chilis und Kokosnuss, karamellisierte Hibiskus-Blüten auf Pistazienstreuseln, mit Wachteleiern und Trüffelschaum gefüllte Yucca-Cupcake.

Haute Cuisine, die man so nicht einmal in der Inselhauptstadt Santo Domingo oder in den Luxus-Hotels in Punta Cana bekommt. Ihre Autoren-Sterneküche basiert auf Fleisch, Fisch, Meeresfrüchten, ist kreativ, molekular, minimalistisch und «ehrlich» – wie sie sagt. Selbstredend arbeitet sie ausschließlich mit frischen Produkten aus der direkten Umgebung.

Die beiden Restaurants und die ihnen angeschlossene Kochschule befinden sich in der Ferienanlage Jarabacoa Country Club, die idyllisch auf einer Anhöhe außerhalb der Ortschaft liegt. Marías erst vor einem Jahr eröffnete Kochschule erreichen Bewerbungen aus der ganzen Welt. In ihrer Küche wollen bereits gut ausgebildete Nachwuchsköche arbeiten, die von prestigeträchtigen internationalen Kochschulen kommen. Aber Marías Auswahlkriterien sind andere.

Natürlich sucht sie Bewerber mit Passion und Talent. «Vor allem will ich aber jungen, aus sozial schwachen Verhältnissen stammenden Frauen helfen, ihren Berufstraum zu verwirklichen, ohne meinen schweren Weg gehen zu müssen. Sie sollen nicht leiden wie ich», erklärt María. Mit ihrer eigens für die Kochschule eingerichteten 'Stiftung María Marte' hilft sie zudem von außerhalb Jarabacoas kommenden Frauen wie Leidy und Carmen mit Stipendien, kostenloser Verpflegung und Unterkunft.

Seite an Seite schnippelt und schneidet die Chefköchin mit ihren beiden Auszubildenen nun die Zutaten für die Kürbiscreme zurecht. Parallel müssen einige Gerichte für den Abend vorbereitet werden wie das langsam schmorende Lammfleisch. Aber ansonsten nimmt sich María Zeit für ihre Schülerinnen. In der Küche dampft, brutzelt und köchelt es. Angeregt unterhalten sich María und Carmen beim Vorbereiten der Kürbiscreme. Natürlich sei María die Chefin. «Aber mehr als das ist sie für uns ein Vorbild und eine Anführerin, die selber Hand anlegt, hilft, mitarbeitet und nicht nur schreiend befiehlt und anordnet», versichert Carmen.

Carmen hat zuvor in kleinen und meistens von männlichen Chefs geführten Restaurants in Santo Domingo gearbeitet. «Normalerweise wirst Du als angehende Köchin mehr wie eine Untergebene herumkommandiert. Doch María ist geduldiger, hat immer ein offenes Ohr für uns, unterstützt uns in allem», sagt sie.

Die Stimmung in der Küche ist wirklich ungewöhnlich gut und ausgelassen. Es wird viel geredet und noch mehr gelacht. «Wir nennen uns Cocineras felices», erklärt Leidy. Das bedeutet auf Deutsch 'Glückliche Köchinnen'. Diesen Spitznamen trägt die sympathische und lebensfrohe Chefköchin María Marte seit Jahren. María ist für Leidy und die anderen zwölf Schülerinnen eine große Inspiration. «Ihre Geschichte fasziniert uns alle und zeigt uns, dass auch wir es schaffen können», meint Leidy.

Von der Tellerwäscherin zur Sterneköchin

Tatsächlich verkörpert María Marte ein wenig den uralten Traum 'vom Bettler zum Millionär'. In ihrem Fall ist es von der 'Tellerwäscherin zur Sterneköchin'. Als Jüngste von acht Kindern wuchs sie in Jarabacoa in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihr Vater arbeitete als Koch im damals einzigen Restaurant der Ortschaft. Ihre Mutter war Konditorin und sortierte Kaffeebohnen in einer Fabrik.

Als die Eltern sich trennten, musste auch María mithelfen, den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen. Bereits als Achtjährige half sie nachmittags nach der Schule in der Fabrik ihrer Mutter, Kaffeebohnen zu verlesen. Mit zwölf musste sie ihren Vater in der Küche des Restaurants unterstützen. Während ihre Freundinnen draußen spielten, schnitt sie Zwiebeln, Peperoni, Koriander. «Aber es machte mir Spaß. Die Gerüche aus der Küche gehören zu meinen schönen Kindheitserinnerungen», sagt María.

Chefköchin María Marte (r.) bildet vor allem Frauen aus sozial schwächeren Familien aus. Manuel Mayer

Mit 16 wurde sie bereits schwanger. Die Beziehung mit ihrem Partner hielt nicht lange. Sie blieben aber Freunde. Danach wurde sie erneut von ihrem neuen Partner mit Zwillingen schwanger. Aber auch von ihm trennte sie sich schon bald wieder. Als alleinstehende, dreifache Mutter war ihr Leben alles andere als leicht.

2001 nahm ihr erster Partner schließlich den gemeinsamen Sohn Adonis auf der Suche nach einem besseren Leben mit nach Madrid. Zwei Jahre später folgte ihnen auch María in die spanische Hauptstadt. «Es war ein harter Schritt, der mir das Herz zerriss. Meine beiden Zwillinge Paula und José waren erst drei Jahre alt, als ich sie bei meiner Großmutter zurückließ, um für uns alle eine bessere Zukunft in Madrid zu suchen», erinnert sich María.

Im Madrider Edelrestaurant 'Club Allard' fand sie schließlich eine Anstellung als Putzfrau und Tellerwäscherin. «Es war eine schwere Zeit. Ich wurde nicht gut behandelt». In der Küche nannte man María, die lateinamerikanische Einwanderin und Tellerwäscherin, nicht einmal beim Namen, sondern bezeichnete sie abfällig nur als «La Negra» (die Schwarze).

Nach drei Monaten wurde eine Stelle als Koch frei. Sie nahm sich allen Mut zusammen und sprach bei Diego Guerrero, dem damaligen Chefkoch, vor. «Natürlich bekam ich eine Absage. Ich hatte weder eine Ausbildung und nur die Erfahrung aus dem Dorfrestaurant meines Vaters». Sie blieb aber hartnäckig. Unbeirrt verfolgte sie ihren Traum, Köchin zu werden. Als der nächste Koch wenige Monate später das Restaurant verließ, ging María dem Chefkoch so lange auf die Nerven, bis er ihr eine Stelle in der Küche anbot. Aber nur unter der Bedingung, dass sie auch weiter putzte und Teller wusch.

«Ich musste praktisch drei Jobs gleichzeitig machen. Ich fing morgens um neun Uhr an und kam erst nachts um zwei oder halb drei wieder nach Hause», sagt María. Doch sie hatte Talent, stieg schnell in der Küchenhierarchie auf. 2013 ging dann auch der Chefkoch Guerrero – und mit ihm die Hälfte der Köche – um sein eigenes Restaurant aufzumachen. Eine Katastrophe für das Restaurant, das damit seinen Michelin-Stern verlor. Als die Restaurantbesitzerin fragte, wer bereit wäre, die Küchenleitung zu übernehmen, machte nur María, die kochende Tellerwäscherin, einen Schritt nach vorne.

«Aschenputtel der Herdplatten»

«Meine Kollegen hielten mich für größenwahnsinnig. Doch die Restaurantleitung glaubte an mich.» Viele Kollegen verließen daraufhin den Club Allard. Aber María suchte sich ein neues Team, stellte die Karte um, brachte mutig ihre kulinarischen Wurzeln der Karibik mit ein – mit sensationellem Erfolg. Sie hielt nicht nur den Michelin-Stern für das Restaurant, sondern erkochte sich sogar noch einen zweiten Stern!

Sie wurde spanienweit gefeiert, war die angesagteste Köchin des Landes und wurde mit Preisen nur so überhäuft. 2015 zeichnete sie unter anderem die Real Academia de Gastronomía, Spaniens königliche Akademie für Gastronomie, als besten Chef aus. Im selben Jahr würdigte die Madrider Hauptstadtregion Marte für ihre Verdienste am Weltfrauentag mit dem 'Estrella'. 2017 erhielt sie den prestigeträchtigen internationalen Preis des österreichischen Jahrhundertkochs Eckart Witzigmann. Der Premio Woman wurde der Dominikanerin 2018 verliehen.

Für ihren märchenhaften Aufstieg war sie natürlich auch für die spanische und internationale Presse ein Star, die María gerne als «Aschenputtel der Herdplatten» bezeichnete. Doch angekommen auf dem Zenit der spanischen und europäischen Haute Cuisine ließ sie plötzlich alles liegen. Eigentlicher Auslöser waren ihre Kinder, «diejenigen, die am meisten unter meinem Märchen leiden mussten». Bereits 2012 konnte María ihre Zwillinge nach Spanien nachholen. «Ich war aber nur am Arbeiten. Sie waren bereits neun, als meine Tochter eine Gesichtslähmung erlitt. Das passierte morgens um neun. Ich kam aber erst um 18 Uhr nach Hause und fuhr dann sofort mit ihr ins Krankenhaus. Als der Arzt zu mir meinte, meine Kinder seien wichtiger als meine Arbeit, ging ich in mich.»

María in ihrem Restaurant Cayena. Manuel Mayer

Sie schmiss alles hin und kehrte zurück nach Jarabacoa. Das war 2018. Zunächst eröffnete sie ein Restaurant – das Sky Europa – in der Inselhauptstadt Santo Domingo. «Ich erhielt auch Angebote aus Spanien und Frankreich. Aber ich entschied mich bewusst für Jarabacoa und gab auch die Projekte in Santo Domingo wieder ab.» Die beste Entscheidung ihres Lebens – «für mich und meine Familie. Hier habe ich meinen Frieden gefunden».

Ihre Erinnerungen an Spanien sind nicht die besten. Natürlich habe ihr Aufstieg und ihre Karriere in Madrid begonnen. «Aber mir wurde nichts geschenkt. Ganz im Gegenteil! Und meinen Erfolg habe ich nur mir selber zu verdanken. Ich habe hart dafür gekämpft und viele Opfer gebracht», sagt María bestimmt, während sie ihrer Schülerin Carmen beim Anfertigen der Kürbiscreme hilft.

In ihrer karibischen Heimat geht ihr Märchen vom 'kulinarischen Aschenputtel' nun weiter. Nicht nur in ihren beiden Restaurants und der Kochschule. In Konferenzen und Podcasts informiert sie die ärmliche Landbevölkerung in Sachen gesunder Ernährung und setzt sich für die Rolle der Frau in der Landwirtschaft ein. 2021 ernannte sie die Iberische Gemeinschaft (SEGIB) zur offiziellen Kulturbotschafterin der 22 Mitgliedsländer, um ihren Kampf für die Frauen und gesunde Ernährung in ganz Lateinamerika fortzuführen.

Vor allem aber ist es ihr wichtig, jungen Frauen aus ihrer Heimat zu helfen, ihren großen Traum zu verwirklichen. «Mein Leben bestand vor allem aus harter Überwindung. Ich musste viel arbeiten und leiden, bevor ich den gläsernen Aschenputtel-Schuh bekam. Aber ich habe nie aufgehört zu träumen und zu kämpfen und mein Märchen geht weiter», versichert María.

Maria beim Unterricht angehender Kellnerinnnen. Manuel Mayer

Sie will für ihre Schülerinnen ein Vorbild sein, sie motivieren, auch wenn die Welt des Kochens noch so hart und von Männern dominiert ist. Es scheint zu funktionieren: «Ich lerne so viel von María. Nicht nur das Kochen, auch Selbstbewusstsein, Lebensfreude und den Glauben, einmal selber eine große Chefköchin zu werden», meint Carmen und richtet die mittlerweile fertig gewordene Kürbiscreme auf einem Teller an.

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