Reisen unterm Regenbogen - LGBT-Agenturen in Spanien
Eine immer größer werdende Anzahl spezialisierter Agenturen und die Vielfalt der Angebote beflügeln den LGTBI-Tourismus, der weltweit einen Millionenumsatz erzielt
GERARDO ELORRIAGAG. E.
Madrid
Dienstag, 26. August 2025
Pioniere zahlen oft einen hohen Preis für ihren Mut zur Veränderung. Am 26. Juni 1977 ging die Nationalpolizei mit Schlägen und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor, die auf den Ramblas in Barcelona marschierten und ein Ende der Repressionen gegen Schwule, Lesben, Transvestiten und Transsexuelle forderten. Heute, fast ein halbes Jahrhundert später, erscheint es undenkbar, dass Sicherheitskräfte versuchen würden, einen Marsch zu stoppen, der am 5. Juli, dem Tag des LGBTQIA+ Pride in Madrid nach vorsichtigen Schätzungen 250.000 Menschen zusammenbrachte und eine seit Jahrzehnten stattfindende Großveranstaltung ist.
Das Kollektiv ist allmählich sichtbar geworden, und seine Regenbogenflagge, die in den 1970er Jahren vom Designer Gilbert Baker entworfen wurde, hat Gehsteige, Straßen, Bars, Nachtclubs, Parlamentssitze, öffentliche und private Führungspositionen, Kreuzfahrtschiffe, Charterflugzeuge, Hotels mit oder ohne Swimmingpools sowie alle Arten von Touristenzielen erobert.

Die Freizeitindustrie hat das erkannt und die Reisebüros haben eine Nische gefunden, die nach Angaben der Website agenttravel.es allein in Spanien 6,1 Milliarden Euro pro Jahr einbringt. «Diese Zahl erscheint völlig unglaublich», sagt Pablo Martínez, Direktor von Seven Colors, einem Unternehmen, das sich auf diese Art von Kunden spezialisiert hat, und weist darauf hin, dass allein die Veranstaltung in Madrid außergewöhnliche Gewinne abwirft. Er verweist aber auch auf den Erfolg weiterer Anziehungspunkte für diese Zielgruppe: Die Kanarischen Inseln zeichnen sich durch ihr Klima, Veranstaltungen wie die Winter Pride und die Dünen am Strand von Maspalomas aus, aber auch Torremolinos, Sitges, Ibiza oder Barcelona mit dem Circuit-Festival im Sommer, der mehr ausländische als einheimische Besucher anzieht, oder die Fiesta de los Palomos in Badajoz.
Das Kollektiv will Spaß haben und die Welt kennenlernen. Es sind Reisebüros entstanden, die dank 'schwulenfreundlicher' Reiseführer und Unterkünfte ein Eintauchen in die schwule Kultur und Umgebung verschiedener Länder ermöglichen. Die Gründung von Seven Colors war nach Aussage von Martínez eine Antwort auf bestimmte Klischees, die mit diesem Phänomen verbunden sind. «Wir wollten auf das Klischee der schwulen Oberschicht und des gehobenen Geschmacks reagieren, das unserer Meinung nach das übermäßig teure Angebot erklärt», sagt er.
Dementsprechend hat sich das Kundenprofil des Unternehmens entwickelt. «Auch der Tourismus unterscheidet sich je nach Lebensabschnitt, und ich sehe mich nicht mit fünfzig Jahren Drogen und Alkohol konsumieren und elektronische Musik hören», gesteht er. «Es gibt eine Art des Feierns, die mich nicht interessiert, und ich verkaufe, woran ich glaube.»
Die Teilnehmer der Angebote sind zwischen 35 und 60 Jahre alt und in der Regel ungebundene Männer. Soziale Kontakte zu knüpfen sei ein häufiges Anliegen, aber er glaubt nicht, dass dies nur Schwule und Lesben haben. «Wir finden ähnliche Prozentsätze unter Heterosexuellen, mit vielen Singles und Geschiedenen», argumentiert er und fügt hinzu: «Abgesehen von organisatorischen Fragen gibt es eine existenzielle Leere, die gefüllt werden muss.»
Individuelle Angebote
Diese Agenturen bieten sowohl organisierte Reisen als auch maßgeschneiderte Angebote. Marta Borrachero, Inhaberin des Unternehmens Bolleras Viajeras (reisende Lesben), ist ein Beispiel für den Einfluss der sozialen Medien auf diesen Boom. «Ich lud Fotos von den Orten, die ich besuchte, auf Instagram hoch und fügte 'lesbenfreundliche' Empfehlungen hinzu, woraufhin ich gefragt wurde, ob ich ein Reisebüro betreibe», erzählt sie. Nach der Pandemie startete sie ihr Projekt, das, wie sie betont, von Anfang an boomte. «Denn es gab nichts Vergleichbares und auch heute gibt es nur wenige Angebote», erklärt sie.
Borrachero betont, dass ihre Angebote stets ausgebucht sind. Wie andere Unternehmen des LGBTI-Sektors bietet sie sowohl Pauschalreisen als auch individuell zusammengestellte Trips an, die sich in der Regel an Hochzeitsreisende und Gruppen von Freunden richten, die etwas Maßgeschneidertes benötigen. Die Reiserouten führen in exotische Länder, aber auch ins Landesinnere Spaniens, oft in Form von Bildungsreisen, die der persönlichen Weiterentwicklung dienen. «Wir fahren nicht an Orte, an denen Homosexualität mit dem Tode bestraft wird, aber schon dorthin, an denen Gefängnisstrafen drohen, und das sind die gefragtesten Orte, weil man dorthin alleine wohl nicht fahren würde.»
Das geringere touristische Angebot für Frauen wird oft auf ihre geringere Kaufkraft zurückgeführt. «Das dachte ich anfangs auch, aber diese Wahrnehmung ändert sich, denn wir haben teure Reisen nach Japan und Peru organisiert und sie sind ausgebucht.» Die Rentabilität dieser Art von Tourismus hat einige Generalisten angezogen, die spezialisierte Segmente geschaffen haben. Aber so einfach sei es nicht, denn die Nachfrage ende nicht mit der Rückkehr zum Ausgangsort. «Sie suchen nicht nur nach einer Möglichkeit, die Ferien zu verbringen, sondern auch eine Gemeinschaft zu schaffen», sagt Borrachero. «Wir begleiten sie, lernen sie kennen und bieten eine langfristige persönliche Bindung.»
Die Kundinnen von Bolleras Viajeras bevorzugen Touren mit Naturbezug und risikofreien Sportarten wie Wandern oder Kajakfahren. «Das Nachtleben ist nicht im Paket inbegriffen, sondern optional». Dieses Modell bildet einen Gegenpol zum party- und kreuzfahrtzentrierten Modell. Karibik-Kreuzfahrten sind ein Klassiker des Gay-Luxustourismus in den USA, ein Geschäft, das nach Schätzungen der Branche 21,5 Milliarden Dollar umsetzt. In Spanien umfassen die Routen der Website AmbienTravel das Mittelmeer, überqueren den Atlantik und ermöglichen es sogar, den Seeweg zwischen Island und Großbritannien zu befahren.
Mit Sicherheitsgarantien
Die Rentabilität scheint bei LGBTI-Freizeitangeboten im Vordergrund zu stehen. «Sie steht bei allen Symposien zu diesem Thema immer an erster Stelle», kritisiert Enrique Alex. «Wir legen den Fokus auf ein kleines Segment, das nicht die Gesamtheit repräsentiert, aber sprechen nicht über die damit verbundene Marginalität, wie im Fall von Transgender-Personen». Der Autor und Aktivist für LGBTI-Inhalte hat 318.000 treue Follower auf seinem Reisekanal. Seiner Meinung nach sollte Gay-Tourismus über vielfältige Sicherheitsgarantien verfügen. «Wir sollten nicht wegen unserer Identität bedroht werden.»
Das Problem liegt seiner Meinung nach in einer sehr eingeschränkten Sichtweise. «Der Verbraucher wird immer als schwuler, weißer, urbaner, kinderloser, weißer Mann gesehen, der über die finanziellen Mittel verfügt, aber das ist nur ein kleiner Teil des Bildes», sagt er. «Es gibt viele Profile mit unterschiedlichen Lebensläufen, aber gemein ist ihnen vor allem eine gewisse Rastlosigkeit, eine Gier nach Wissen.»

Er erinnert daran, dass LGBTI-Menschen schon immer gereist sind. Was sich geändert habe, sei die Sichtbarkeit der Reiseziele, Festivals und Veranstaltungen. Aber diese Verbreitung ist im Wesentlichen auf den Westen beschränkt. «Der Tourismus begünstigt nicht die Inklusion», bedauert er und verweist auf Ägypten und Marokko, zwei traditionelle Reiseziele für alle Zielgruppen, die ihre repressiven Gesetze nicht geändert haben, oder auf das boomende Dubai, in dem Homosexualität verboten ist, auch wenn es dort illegale Clubs gibt.
Die Probleme beschränken sich nicht nur auf Verbote, sondern umfassen auch andere gefährliche Situationen. «Zum Beispiel, wenn wir zur Rezeption gehen und man uns erklärt, dass es sich um einen Irrtum handeln muss, weil wir ein Doppelbett gebucht haben», sagt er und fordert eine professionelle Ausbildung im Gastgewerbe. «Wir können diese Art von Angebot nicht auf einen Trend beschränken. Wir brauchen komfortable und sichere Räume und ein Risikowarnsystem. Wir sind keine Modeerscheinung, sondern eine Bevölkerungsgruppe mit eigenen Rechten, die unabhängig von Trends in der Geschäftswelt und wechselnden politischen Situationen Respekt verdient.»
Für das LGBT-Kollektiv organisierte Reisen können ein gutes Instrument für Sozialisierung, Stärkung des Selbstbewusstseins und emotionales Wohlbefinden sein, «solange sie gut konzipiert, vielfältig und inklusiv sind und sich nicht in eine ausgrenzende Blase verwandeln», betont Antonio Ortega López, Mitglied des Zentrums für Sexualpsychologie und Paartherapie PsicoLgtb+ mit Sitz in Madrid. «Wie bei allem liegt der Schlüssel in der Herangehensweise: Fördert die Reise Freiheit, Inklusion und echte Verbundenheit... oder verkauft sie nur ein oberflächliches Bild, das dazu führt, dass die Mehrheit der Vielfalt, die das Kollektiv ausmacht, ausgeschlossen wird?»
Ein urteilsfreies Umfeld zu schaffen, in dem man sich ohne Angst zeigen kann, ist einer der Vorzüge, die der Psychologe nennt. Dazu komme das Gefühl der Zugehörigkeit, das «hilft, die Isolation zu bekämpfen, die Identität zu stärken und das Gefühl der Gemeinschaft zu verstärken» und die Möglichkeit biete, ohne Masken zun interagieren. «Diese Reisen ermöglichen Entspannung und Kontakte an einem authentischen Ort», sagt er.
Es geht nicht nur um Freizeit. «Einige bieten auch Bildungsaktivitäten an, z. B. zur LGBT-Geschichte, was die Erfahrung bereichert», fügt er hinzu und glaubt, dass der Nutzen über den Aufenthalt hinausgeht. «Indem sie die Bindungen und das Selbstwertgefühl stärken, können sie dazu beitragen, Risikofaktoren für Einsamkeit, Depressionen oder problematischen Konsum zu verringern.»
Aber es gibt auch einige Nachteile, wie beispielsweise die unfreiwillige Ghettoisierung. Ortega merkt an, dass das Gefühl einer Blase oder Isolierung verstärkt werden kann, vor allem, wenn jeglicher Kontakt zu anderen Realitäten vermieden wird. Auch bestehe die Gefahr unrealistischer Erwartungen. «Manchmal wird die Gruppenerfahrung idealisiert und kann bei denjenigen, die nicht hineinpassen, Frustration hervorrufen.»
Auch sozialer Druck sei vorhanden, sagt er und nennt Ausgrenzungsdynamiken aufgrund von Aussehen oder Status, «die Stereotypen reproduzieren können», oder die Möglichkeit, dass sich die Reise auf das Nachtleben und den Drogenmissbrauch konzentriere, was für die Schwächsten gefährlich sei. Das vielleicht größte Problem sei der Preis, der seiner Meinung nach transsexuelle, nicht-binäre und ältere Menschen sowie Personen einer fremden Ethnie oder psychischen Beeinträchtigungen ausschließen könne. Die Kosten seien oft einfach deshalb höher, weil das Programm an ein spezielles Zielpublikum gerichtet ist und nicht unbedingt deshalb, weil es mehr Vorteile biete, warnt Ortega.
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