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Künstliche Intelligenz

Ruf der Wissenschaft ist in Gefahr

Die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit leidet unter der Zunahme von Fachzeitschriften, die von 'KI-Fabriken' erstellte Artikel veröffentlichen. Die Auswirkungen sind bis in die Politik zu spürenZITATEPseudoakademische Foren sind bei jungen Forschern, die ihren Lebenslauf aufpolieren wollen, sehr beliebt

DOMENICO CHIAPPED. CHIAPPE

Dienstag, 24. Juni 2025

Die Wissenschaft zittert vor zwei Phänomenen, die das zerstören könnten, worauf das Ansehen von Forschung, Wissenschaftlern und Institutionen bisher beruhte. Eines ist das gehäufte Auftreten von Publikationen, die dem Anspruch, die Methodik und die Ergebnisse einer Studie überprüfbar zu machen, nicht gerecht werden. Das andere ist das Aufkommen rein gewinnorientierter Kongresse. Dank des Gewinns von 5.000 bis 12.000 Euro pro Artikel hat sich die Zahl der Zeitschriften vervielfacht. Einige Verleger lockern die Regeln für die Überprüfung, um möglichst viele Texte zu veröffentlichen. Es wird geschätzt, dass jedes Jahr weltweit etwa drei Millionen Artikel veröffentlicht werden.

Vor einigen Wochen rief einer der weltweit größten Wissenschaftsverlage, der Zeitschriften in Bereichen wie Genetik, Medizin und Biologie herausgibt, all seine Redakteure zusammen. Anlass war die «Vertrauens- und Redlichkeitskrise», in der sich die Wissenschaft befindet. Der Verlag warnte seine Redakteure vor der Verbreitung künstlich erstellter Artikel und zeigte ihnen, wie sie diese erkennen können. Die Artikel werden von als 'Paper Mills' bekannten Unternehmen erstellt und an jene Wissenschaftler verkauft, die verzweifelt versuchen, eine jährliche Veröffentlichungsquote zu erfüllen, um ihre Karriere voranzutreiben.

Schätzungen zufolge gibt es mehr als 15.000 dieser 'Raubjournale', die sich durch schnelle Zahlungsaufforderungen, laxe Begutachtungsstandards und falsche redaktionelle Beratung auszeichnen. In ihnen werden manchmal bedeutende Wissenschaftler ohne deren Erlaubnis erwähnt, wie aus der Studie 'Combatting Predatory Academic Journals and Conferences' hervorgeht. Für die von der InterAcademy Partnership (IAP), einer Plattform von rund 140 Akademien der Wissenschaften, Technik und Medizin, durchgeführte Studie wurden fast zweitausend Forscher aus 112 Ländern befragt. Ein Viertel der Befragten gab an, in diesen Medien zu publizieren, da dies die Karriere fördere und bequem sei. Ein Zehntel gab an, eine seriöse Zeitschrift nicht von einer betrügerischen unterscheiden zu können. Laut der Studie handelt es sich hierbei um eine etablierte Praxis unter Wissenschaftlern.

Die Alarmglocken läuteten, als das System Web of Science, das akademische Veröffentlichungen nach ihrer Bedeutung klassifiziert, vor einigen Jahren 50 Zeitschriften wegen gravierender methodischer Mängel aus seinem Verzeichnis ausschloss. «Ihr Verhalten wird als unethisch angesehen und sie werden als räuberisch bezeichnet, weil sie weniger strenge Integritätsstandards haben», erklärt Isabel Sanmartín. Sie ist Forscherin beim Wissenschaftsrat CSIC und am Königlichen Botanischen Garten sowie Mitglied einer Gemeinschaft unabhängiger Gutachter. «Die Problematik hat sich nach der Pandemie noch verschärft, weil Ergebnisse so schnell wie möglich vorliegen mussten und ein Peer-Review, bei dem zwei Experten die Details uneigennützig überprüfen, bis zu einem Jahr dauern kann. Außerdem ist der Druck, etwas zu veröffentlichen, bei jungen Forschern gestiegen. Früher reichten zwei oder drei Veröffentlichungen pro Jahr für den Aufstieg aus. Jetzt müssen es zehn oder zwölf sein.»

10.000

Artikel werden jedes Jahr wegen verfälschterer Ergebnisse oder völliger Unrichtigkeit widerrufen.

Mit den nötigen Werkzeugen für die Verarbeitung riesiger Informationsmengen und die Kompilation von Artikeln mit Daten aus fremden Quellen sabotieren die 'Paper Mills' die wissenschaftliche Reputation mit scheinbar seriösen, gegen Entgelt veröffentlichten Texten. «Paper Mills operieren in einflussreichen Fachzeitschriften», warnt Sanmartín. Manuskripte würden in großem Stil «mit abgeleiteten, kopierten oder erfundenen Texten oder Datensätzen» erstellt und an «Autorenteams» verkauft, heißt es in dem Artikel 'A call for research to address the threat of paper mills', der in Plos Biology veröffentlicht wurde. Sie versteigern sogar die Position der Autoren in der Reihenfolge der Unterzeichnenden, und die Zahlung erfolgt «vor oder nach der Annahme des Manuskripts».

Was ebenfalls den Preis nach oben treibt, ist der «offene Zugang» zu den Publikationen. Jeder kann sie lesen, unabhängig davon, ob er einer Institution angehört, die ein Abonnement bezahlt, was ihre Verbreitung noch verstärkt. Das Scheckbuch einiger Institutionen, die bereit sind, immer höhere Beträge zu zahlen, führt zu einer Art unlauterem Wettbewerb, von dem sogar spanische Forscher betroffen sind. «Wir können zum Beispiel nicht in mehreren 'Nature'-Ausgaben publizieren, weil unser Budget nicht ausreicht, und so publizieren wir nicht viel oder müssen immer mit Ausländern kooperieren, was unsere Stellung schmälert», bestätigt Sanmartín. «Je mehr sie merken, dass wir publizieren wollen, desto mehr verlangen sie.»

Auf einem Markt wissenschaftlicher Texte, der nach den in Plos veröffentlichten Daten für die Jahre 2019-2021 fast die Hälfte (46 %) dessen ausmacht, was Zeitschriften für ihre Evaluierung erhalten, ist die dürftige Erforschung ihrer Auswirkungen auffällig. «Ihre Produkte, Abläufe und Leistungen sind noch wenig erforscht», mahnte ein Team australischer Wissenschaftler unter der Leitung von Jennifer Byrne Ende 2024. «Der bisherige Mangel an empirischer Forschung könnte zum Teil auf die Schwierigkeiten bei der Untersuchung verdeckter Aktivitäten, auf Sicherheitsrisiken für Beteiligte und Forscher, auf die Annahme, dass die 'Paper Mills' keinen Einfluss auf die herkömmliche Forschung haben, und auf begrenzte finanzielle Mittel zurückzuführen sein.»

Handbremse

Die Zeitschriften selbst ziehen jedoch die Handbremse, weil sie befürchten, dass die zunehmenden Widerrufe das Fass zum Überlaufen bringen könnten. Mehr als 10.000 Artikel werden jedes Jahr wegen verfälschterer Ergebnisse oder völliger Unrichtigkeit widerrufen. Sie verlieren an Glaubwürdigkeit und fallen in der Rangliste von Scopus oder Web of Science zurück. Je tiefer sie fallen, desto unattraktiver sind sie für die Geldgeber, und das Geschäft leidet. «Es ist ein Risiko für die Zeitschriften, Artikel durchzulassen, die sich später als 'Paper Mills' erweisen oder zurückgezogen werden«, sagt Sanmartín. «Wir haben Tools, die Plagiate erkennen, aber künstliche Intelligenz ist auch darauf trainiert, diese zu umgehen, und es gibt einen Wettlauf zwischen der KI und den Detektoren.»

Die Auswirkungen sind vor allem im Gesundheitsbereich, in dem große Mengen öffentlicher und privater Gelder im Spiel sind, zu spüren. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Lösungen bezüglich des Klimawandels. Eine der Zeitschriften, die laut 'Science' aus dem Verzeichnis akademisch relevanter Publikationen verbannt wurde, ist das einflussreiche 'International Journal of Environmental Research and Public Health', in dem jährlich etwa 17.000 Artikel veröffentlicht werden, für deren Prüfung durchschnittlich etwas mehr als ein Monat benötigt wird.

«Das Schlimmste sind die Auswirkungen auf den Gesundheitssektor», sagt Sanmartín. «Verfälschte oder ungenaue Daten verlangsamen den Fortschritt der Wissenschaft und der angewandten Forschung, denn gibt man falsche Daten an ein Pharmaunternehmen, das damit versucht, ein Medikament zu entwickeln, kann das eine Sackgasse sein. Das Gleiche gilt auch umgekehrt.» Gefälschte Ergebnisse können Wege in der Forschung eröffnen, die ins Nichts führen, oder vielversprechende Wege schließen, indem sie sie als ungeeignet deklarieren.

Zu den üblichen Verdächtigen gehören «Studien, die Produkte wie E-Zigaretten fördern», so die Schlussfolgerung der IAP-Studie. «Dass eine Art von Bericht erstellt werden kann, der scheinbar alle wissenschaftlichen Merkmale aufweist, aber Dinge sagt, die nicht korrekt sind, ohne dass Prüffilter dies merken, macht deutlich, dass das System fehlerhaft ist und Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen, um die Wahrscheinlichkeit so gering wie möglich zu halten», resümiert Ramón Agüero, kantabrischer Professor und Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Telematik (Scitel). Und während versucht wird, die Ehre der Wissenschaft zu retten, die jetzt in Gefahr ist, werden weiterhin gefälschte Artikel an den Meistbietenden verkauft.

Mehr als 50.000 'Phantomkongresse'

Mit der Veröffentlichung eines oder mehrerer Artikel beginnt die akademische Laufbahn eines Wissenschaftlers. Mit der Live-Präsentation der Arbeit vor Fachpublikum bleibt man im Gespräch. Genauso wie Zeitschriften entstanden sind, um die ständig wachsende Nachfrage nach Veröffentlichungen zu befriedigen, gibt es auch Unternehmen, die sich auf die Organisation von Kongressen spezialisiert haben, sowohl digital als auch physisch. Eine der größten, die World Academy of Science, Engineering and Technology (Waset), veranstaltete Mitte April einen Kongress in Sevilla, einige Wochen später einen weiteren in Barcelona. Jeden Monat werden 20 'internationale Forschungskonferenzen' in großen Städten und touristischen Anziehungspunkten veranstaltet.

Diese Foren sind als 'Phantomkongresse' bekannt und können in drei Tagen ein halbes Tausend Fachgebiete bündeln, jedes mit so vielen Vorträgen, wie sich verkaufen lassen. In dem Paket sind Entgelte für 'Beiträge' enthalten, die in 'Sonderausgaben' berücksichtigt werden sollen. Der Preis für die Teilnahme an Referenzkongressen liegt zwischen 300 und 1.000 Euro. Am unteren Ende der Skala stehen die virtuellen 'Predatory Meetings', deren Kosten gegen Null tendieren. In einem Jahr organisierte Waset 50.000 Kongresse, so eine von der IAP-Organisation unterzeichnete Studie.

Alle Tagungen laufen nach demselben Muster ab, die Anmeldung erfolgt online. «Sie werden ohne strenge wissenschaftliche Kriterien organisiert, um Gewinn zu erzielen, und die Forscher versuchen, ihren Lebenslauf auf einfache Weise zu erweitern», sagt Ramón Agüero, Professor an der Universität von Kantabrien. «Es gibt sie nicht nur in Spanien, und die Teilnehmer sind nicht blauäugig.»

Es heißt, es gebe bereits mehr 'Phantomkonferenzen' als echte und es kursieren Tipps, um verdächtige Konferenzen zu erkennen, wie der von Think Check Attend veröffentlichte, der Akademiker auffordert, über die Organisation nachzudenken: Kennen Sie sie? Hat ein Kollege teilgenommen? ... «Manchmal taucht der Name eines Forschers in den Listen auf, ohne dass dieser zugestimmt hätte, warnt der Verband der spanischen wissenschaftlichen Gesellschaften (Cosce).

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