Überfahren eines Lesers
Situationen mit Kamikaze-Fußgängern häufen sich
IGNACIO LILLO
Donnerstag, 11. Dezember 2025
Während ich neulich mit dem Motorrad durch Málaga fuhr, sprang mir plötzlich ein Fußgänger direkt vor die Maschine – ein Leser klassischer Schule, Zeitung unter dem Arm, ganz vertieft in die Gedanken an die Schlagzeilen des Tages. Statt an der Ampel zu warten, überquerte er seelenruhig vier Fahrstreifen, mitten im Verkehr, als sei die gedruckte Ausgabe seiner SUR sein Schutzschild gegen jedes Unglück. Einen Moment lang wusste ich nicht, ob ich ihm ausweichen oder ihm applaudieren sollte – so todesmutig und gleichzeitig absurd erschien mir diese Szene.
Wenn ich ihn tatsächlich angefahren hätte, wäre es eine Tragödie gewesen. Nicht nur wegen der Verletzungsgefahr – für ihn wie für mich – sondern auch, weil jeder treue Zeitungsleser heutzutage ein Stück verschwindender Kultur ist. So jemanden darf man einfach nicht verlieren. Doch genau solche Situationen häufen sich: Kamikaze-Fußgänger, die völlig unbeeindruckt durch die Straßen laufen, als gäbe es keine Autos, keine Regeln und keine Verantwortung.
Hinzu kommen die neuen Vertreter dieser Spezies: die Handyzombies, die mit gesenktem Kopf über die Fahrbahn schlurfen, fixiert auf ihr Display, und die Musikvernarrten, mit Kopfhörern so groß, dass sie selbst das Hupen eines Lastwagens kaum hören. Neuerdings gesellen sich auch noch die Touristen dazu, die den Einheimischen in Sachen Leichtsinn in nichts nachstehen – hier scheint es fast Volksport zu sein, den Tod auf der Straße herauszufordern.
Vielleicht liegt das alles an der zunehmenden Fußgängerfreundlichkeit der Stadt – man verliert schnell das Gefühl dafür, wo der Gehweg endet und die Gefahr beginnt. Vielleicht aber ist es ein Symptom für etwas Tieferes: den allgemeinen Verlust an Respekt und Rücksicht im öffentlichen Raum. Ich fürchte, in Málaga ist das längst nicht mehr nur ein Verkehrsproblem, sondern ein Spiegel unseres gesellschaftlichen Zustands.