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MANUEL MEYER
MADRID.
Donnerstag, 26. Dezember 2024
Zumindest für Ministerpräsident Pedro Sánchez und seine regierenden Sozialisten hätte das Jahr 2024 kaum schlechter starten können. Zwar blieben sie Dank der Unterstützung durch die baskischen und katalanischen Separatisten nach den verlorenen Parlamentswahlen des Vorjahres an der Regierung.
Doch gleich am 18. Februar mussten sie bei den Regionalwahlen im nordspanischen Galicien erneut eine schwere Schlappe hinnehmen. Mit nur noch 14 Prozent fuhren sie ihr schlechtestes Ergebnis ein, seit es galicische Regionalwahlen gibt. Nicht weniger schlimm: Die konservative Volkspartei konnte mit 47,4 Prozent der Stimmen zum fünften Mal in Folge eine absolute Mehrheit erreichen. Das stärkte vor allem den spanischen PP-Chef und Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo, der selbst langjähriger galicischer Ministerpräsident war, und dessen Partei nun in elf der siebzehn spanischen Regionen regierte.
Doch nur wenige Tage später redete niemand mehr über die Galicien-Wahlen. Ein defektes Haushaltsgerät in der Küche eines Hochhauses löste in der Mittelmeermetropole Valencia am 22. Februar ein Feuer aus. Binnen weniger Minuten standen zwei Wohnblöcke mit 138 Wohnungen in Brand. Zehn Bewohner kamen ums Leben.
Aber die Politik eroberte schon bald erneut die Schlagzeilen: Mitte März beschloss das spanische Parlament Straffreiheit für Kataloniens Separatisten – ihre Bedingung, um Sánchez mit seiner Minderheitsregierung an der Macht zu halten. Offiziell ging es mit dem Amnestiegesetz, das am 11. Juni in Kraft trat, um die «institutionelle, politische und gesellschaftliche Normalisierung in Katalonien».
Die Amnestie gilt für alle, die im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen seit 2012 mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Zu den gut 400 Begünstigten zählt eventuell auch Carles Puigdemont, unter dessen Ägide Katalonien nach einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum und einem Beschluss zur Abspaltung von Spanien im Herbst 2017 ins Chaos gestürzt war.
Sánchez' Entgegenkommen brachte ihm im November 2023 die Wiederwahl zum spanischen Regierungschef ein. Aber vor allem Puigdemonts Separatisten von Junts per Catalunya machen ihm das Regieren seitdem schwer und erinnern ihn immer wieder daran, dass er von ihnen abhängt, indem sie Gesetzesinitiativen durchfallen lassen – sogar den Haushalt für 2025. Anfang Dezember gipfelte diese Strategie in Puigdemonts Forderung, Sánchez solle im Parlament die Vertrauensfrage stellen.
Doch Kataloniens Separatisten waren nicht die einzigen, die Sánchez in diesem Jahr Kopfschmerzen bereiteten. Am 22. April fanden Regionalwahlen in einer weiteren Region mit separatistischen Zielen statt – dem Baskenland. Und das Ergebnis unterstrich eine klare nationalistische Radikalisierung der nach Unabhängigkeit strebenden nordspanischen Region. Die gemäßigten Nationalisten der PNV gewannen die Wahlen nur knapp vor den Radikalseparatisten der EH-Bildu, die mit 32,5 Prozent der Stimmen ihr historisch bestes Ergebnis einfahren konnten.
Gemeinsam kommen die Nationalisten von PNV und EH Bildu auf zwei Drittel der Stimmen und erhalten dadurch noch mehr Gewicht im spanischen Parlament, wo Sánchez linke Minderheitsregierung von ihnen abhängt. Was sie dafür fordern, ist klar – stets mehr Unabhängigkeitsrechte.
Ende April folgte dann gleich das nächste politische Erdbeben, das diesmal aber von Sánchez selber ausgelöst wurde. Als ein Richter die Strafanzeige der rechtsextremen Organisation 'Manos Limpias' gegen seine Ehefrau Begoña Gómez wegen Vetternwirtschaft und illegaler politischer Einflussnahme akzeptierte, platzte dem spanischen Premier der Kragen. Fünf Tage ließ er seine Amtsgeschäfte ruhen, um über einen möglichen Rücktritt nachzudenken. Dass seine Frau Opfer einer «Strategie der Hetze und Zerstörung» ist, die eigentlich ihn im Visier hat, gehe ihm zu weit. «Ist es das alles wert?», fragte er sich in einem öffentlichen Brandbrief gegen die parteipolitischen «Schmutzkampagnen» der rechten Oppositionsparteien.
Zurückgetreten ist Sánchez nach seiner Bedenkzeit allerdings nicht. Massendemonstrationen für seinen Verbleib hätten ihn letztlich dazu bewegt, doch weiterzumachen. Die Opposition witterte dahinter sogar eine gewiefte Strategie vor den Europawahlen im Juni und den Regionalwahlen in Katalonien im Mai, um von den Problemen seiner Sozialisten und seiner Minderheitsregierung abzulenken.
Bei den Europawahlen am 10. Juni ging die Rechnung zumindest auf. Zwar konnten die Konservativen von Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo wie erwartet gewinnen, scheiterten jedoch in ihrem Versuch, die Abstimmung zu einem Plebiszit gegen Pedro Sánchez zu machen. Dabei hatten es die Konservativen sogar geschafft, Sánchez' polarisierende Amnestie für katalanische Separatisten und die zahlreichen Korruptionsfälle, die seit Monaten die sozialistische Partei erschüttern, in den Mittelpunkt der Wahlkampagne zu stellen – inklusive die Korruptionsermittlungen gegen Sánchez' Ehefrau Begoña Gómez.
Die regierenden Sozialisten hielten jedoch stand und positionierten sich mit rund 30 Prozent der Stimmen und nur zwei Mandaten weniger knapp hinter den Konservativen. Auf die Stabilität der Minderheitsregierung in Madrid sollte der Urnengang also keine allzu großen Auswirkungen haben. Mit der Angstmache vor dem Rechtsruck konnten die Sozialisten bereits bei den vergangenen Urnengängen erfolgreich ihre Wähler mobilisieren. Die Sozialisten profitierten aber auch vom Verschleiß der spanischen Linken.
Hingegen gewannen die Sozialisten im Mai wie schon beim letzten Mal erneut die vorgezogenen Regionalwahlen in Katalonien. Diesmal aber gilt der Wahlausgang als eine Art Neuanfang in den schwierigen Beziehungen zwischen Madrid und Barcelona, da die drei separatistischen Parteien erstmals seit über 15 Jahren keine ausreichende Mehrheit für die erneute Regierungsbildung bekamen. Wie schwach – und abhängig vom Wohlwollen der Separatisten – die sozialistische Minderheitsregierung Salvador Illa in Barcelona ist, zeigte aber bereits die Tatsache, dass Illa erst am 10. August zum neuen Regierungschef Kataloniens gewählt wurde. Er konnte fast glücklich sein, dass Mitte Juni bereits in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft anfing, die ihm den medialen Druck bei den Verhandlungen nahm. Fast einen Monat fieberte ganz Spanien mit der 'Roja', die Mitte Juli verdient mit einem 2:1 Sieg gegen England das EM-Finale in Berlin gewann.
Dennoch fand Illas Wahl im Regionalparlament im August unter unglücklichen Umständen statt beziehungsweise stand dabei ganz im Schatten des Katz-und-Maus Spiels von Puigdemont mit der Polizei. Der Separatistenführer lebt seit 2017 wegen des Unabhängigkeitsreferendums auf der Flucht vor der spanischen Justiz im belgischen Exil, wurde aber trotzdem bei den Wahlen neuer Oppositionsführer. Am Tag der Abstimmung hielt er in Barcelona vor Tausenden Anhängern öffentlich eine Brandrede für den Neustart der Separatistenbewegung. Dabei gelang es der Polizei nicht, ihn festzunehmen, bevor er sich wieder nach Belgien absetzte.
Pünktlich zur sommerlichen Feriensaison mehrten sich dann die Proteste gegen fehlenden und unbezahlbaren Wohnraum in Spanien. Von Málaga über Barcelona bis hin nach Mallorca machten empörte 'Mietergewerkschaften' vor allem den ausufernden Tourismus dafür verantwortlich. Laut dem spanischen Statistikamt INE stiegen die Mieten in Spaniens Städten in den vergangenen zehn Jahren um 82 Prozent, die Löhne aber nur um 17 Prozent.
Die Forderungen der Demonstranten sind deshalb klar: Es fehlt an einer politischen Strategie und massiven Investitionen in Sozialwohnungen, es braucht Mietpreisdeckel und ein Ende touristischer Apartments, die den Mietmarkt kaputtgemacht haben. Viele Städte wie Barcelona, Málaga oder Cádiz reagierten auf die Proteste bereits mit Beschränkungen von Lizenzvergaben für touristische Apartments.
Neben vielen Touristen kamen ab dem Sommer aber auch wieder viele Flüchtlinge in Spanien an. Und zwar so viele, wie nie zuvor – vor allem auf den Kanarischen Inseln vor der Küste Westafrikas. Bis Jahresende registrierte Spanien die Rekordzahl von fast 43.000 illegalen Bootsflüchtlingen. Regierungschef Sánchez reiste eigens nach Gambia, Mauretanien und in den Senegal, von wo aus die meisten Migranten starten, und bot den Ländern Investitionen und Arbeitsvisa für Migranten an, die legal, aber zeitlich begrenzt nach Spanien kommen wollen.
Unterdessen wurde für die Kanaren vor allem die steigende Zahl unbegleiteter minderjähriger Migranten zum Problem. Doch vor allem konservativ regierte Regionen auf dem Festland, die zudem von der rechten Vox abhängen, weigerten sich, minderjährige Migranten von den Kanaren aufzunehmen. Für Vox wie für die Konservativen wurde die Migrationskrise zum perfekten Thema, um die sozialistische Regierung zu kritisieren.
Lieblingsthema der Sozialisten wie der Konservativen, um den politischen Gegner unter Druck zu setzen, waren das ganze Jahr über die zahlreichen Korruptions- und Bereicherungsskandale in Verbindung mit dem Kauf von Masken während der Covid-Pandemie. Bereits Ende Februar verließ Spaniens sozialistischer Verkehrsminister José Luis Ábalos die Regierung und die Partei, nachdem er im 'Fall Koldo' ins Fadenkreuz der Justiz geriet.
Unterdessen forderten die Sozialisten den Rücktritt der konservativen Madrider Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso, deren Lebenspartner Alberto González Amador ebenfalls vorgeworfen wird, sich beim Verkauf von Covid-Masken an die Regionalregierung bereichert zu haben. González Amador wiederum reichte Klage gegen Generalstaatsanwalt Álvaro García Ortiz ein, der angeblich vertrauliche Korrespondenz zu einer außergerichtlichen Einigung öffentlich gemacht habe.
Im Oktober kam es jedoch bei der linken Sumar zu einem wirklichen Skandal, der nicht nur hausgemacht war, sondern ein regelrechtes politisches Erdbeben auslöste. Ein sexueller Nötigungsskandal um den linken Fraktionssprecher Iñigo Errejón provozierte bei den Linken einen Schockzustand. Denn ihr feministisches Projekt ist einer der Grundpfeiler der Mehrparteien-Allianz, die als kleiner Koalitionspartner der Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez mit in der Regierung sitzt.
Unter normalen Umständen hätte Errejón wochenlang die Schlagzeilen dominiert. Doch am 29. Oktober kam es zu einer Katastrophe ohnegleichen. Die von einer Kaltfront provozierten Regenfälle lösten in der valencianischen Mittelmeerregion verheerende Überschwemmungen aus. Fast 80 Gemeinden wurden von den Wassermassen zerstört, fast 220 Menschen kamen ums Leben. Auch Teile vom benachbarten Castilla La Mancha wurden verheert.
In der Region Valencia wurde das Warnsystem zu spät ausgelöst, die Hilfe kam erst Tage später. Es kam zu Massenprotesten. Seitdem geben sich die sozialistische Zentralregierung und die konservative Regionalregierung gegenseitig Schuld am Versagen, während vor Ort Zigtausende Freiwillige den betroffenen Menschen bei den Aufräumarbeiten halfen. So endete das Jahr 2024 ähnlich wie es anfing – mit einer dramatischen Katastrophe in Valencia.
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