Der Stier und sein Kampf
Tradition wird sicherlich über kurz oder lang ein Ende haben
KLAUS WITTE
Donnerstag, 2. Oktober 2025
«Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust!» (Goethe, Faust I) Besser kann ich es nicht sagen! Ich gestehe aber, dass ich eher 'Jäger' als 'Sammler' bin. So finde ich es faszinierend zu sehen, wie diese Kraftpakete, vollgepumpt mit Adrenalin, strotzend vor Selbstbewusstsein und Freude auf das 'Spiel' in die Arena gestürmt kommen und dort diesen Winzling mit dem roten Lappen stehen sehen. Solange es ein Kampf ist, bei dem Stier wie Torero Kraft und Geschicklichkeit messen, bin ich voll bei der Sache. Spätestens wenn der Stier die Lust verliert, wandert meine Sympathie zum Stier, vielleicht auch deshalb, weil sein Ende unausweichlich ist. Soweit mein persönliches Empfinden.
Wenn wir aber objektiv den Stierkampf und die Beteiligten beurteilen wollen, ist zu bedenken, dass es sich hier um eine uralte spanische Tradition handelt, die noch dazu einen erheblichen Wirtschaftsfaktor darstellt. Weiterhin ist es ein Sport, der nicht mehr und nicht minder gefährlich als viele andere Sportarten ist. Und was maßen wir uns an, den Spaniern vorzuschreiben, welche Traditionen sie zu pflegen haben und welche nicht? Würden wir uns gefallen lassen, wenn sie uns zum Beispiel den Pferderennsport verbieten wollten, wo es auch zu Missbrauch von Tieren kommt? Und der Stier, was würde der sagen, wenn man ihm menschliche Gefühle und Moralregeln antragen würde?
Leider sind diejenigen, die sich am meisten aufregen, nicht von ihrer Überzeugung abzubringen, dass sie Tiere nicht vermenschlichen sollten. Das sieht man zu oft bei so manchen Hunde- oder Katzenbesitzern. Ein Kampfstier lebt ein herrliches, wenn auch kurzes Leben, um den ihn so mancher Homo Sapiens beneiden könnte. Jedenfalls würde er bestimmt nicht mit einer Milchkuh tauschen. Er ist ein Kämpfer bis zu seinem letzten Atemzug, der gut gelebt hat und ein für ihn bestimmtes Ende findet. Es ist auch angemessen, denn es handelt sich ja um ein Tier, dessen Fleisch zum Verzehr bestimmt ist. Trotzdem bleibt die Art seines Endes umstritten und wird sicherlich über kurz oder lang ein Ende haben.